"Ich glaube, dass einige Zeit weg von den Bergen helfen wird, die physische Stärke zurückzugewinnen, die ich brauche, um mich auf dem Level zu messen, den ich von mir selbst verlange." Mit diesen Worten verabschiedete sich Ski-Superstar Lindsey Vonn zu Beginn der Woche für unbestimmte Zeit vom alpinen Ski-Zirkus. Ein Rückzug, der nicht überraschte. Doch sind körperliche Schwächen der einzige Grund für Vonns Auszeit? Die geheimnisvolle Darminfektion, die die 28-Jährige vor einem Monat zu einem Spitalsaufenthalt gezwungen hatte, deuten darauf hin. Doch was ist mit ihrem Outing, jahrelang mit Depressionen gekämpft zu haben? Hat die Krankheit wieder Oberhand gewonnen? Oder leidet die Amerikanerin an einem Burnout?

Entstigmatisieren

"Ich kann vor Vonn auf alle Fälle nur den Hut ziehen", sagt Sportpsychologe Christian Uhl, seines Zeichens langjähriger Mentalbetreuer der österreichischen Skispringer. "Ich finde es toll, dass sie in ihrer Situation ein Signal setzt. Am Höhepunkt ihres Könnens zeigt sie, dass vorrangig noch immer der Mensch und nicht der Sport zählt. Dieses Entstigmatisieren ist cool und extrem wichtig."

Doch ist der Fall Vonn nur das aktuellste Schicksal, das die Kehrseite des Spitzensports aufzeigt. Denn der enorme Druck, der auf den Athleten lastet, hat schon eine Vielzahl an Opfern gefordert. Skispringer Sven Hannawald oder die Fußballer Sebastian Deisler und Robert Enke sowie Trainer Ralf Rangnick sind nur die bekanntesten Namen. Lange Zeit waren psychische Probleme im Sport ein Tabuthema. Erst nach und nach hat man sich für dieses Thema sensibilisiert. War "Burnout" anfänglich nicht mehr als ein Modewort, so ist Selbiges heute als schwere Krankheit akzeptiert.

Energie-Management

Doch wie entsteht ein Burnout? "Man will sich beweisen, der Leistungsanspruch wird auf Kosten des persönlichen Energie-Managements immer höher geschraubt. Auf die notwendigen Erholungsphasen, das Auffüllen der Energietanks wird immer öfter verzichtet", erklärt Uhl. Im Sport führe dies irgendwann so weit, "dass Siege nicht mehr reichen, weil man plötzlich glaubt, trotz des Erfolges die optimale Leistung nicht gebracht zu haben. Ein Denken, das durch Kultur und Medien gefördert wird". Große Gefahr bestehe auch darin, dass ein Athlet sich und sein Selbstvertrauen nur noch über die sportliche Leistung definiert. "Der Glaube, nur dann ein guter Mensch zu sein, wenn man weit springt oder schnell fährt, ist aber definitiv falsch", betont der Psychologe.

Negativen Einfluss darauf hat gerade im Sport natürlich der schmale Grat zwischen Schulterklopfern und Wadlbeißern, zwischen Star und Gescheitertem. "Der Druck, dem die Sportler ausgeliefert sind, ist enorm. Die Formel lautet: Bin ich gut, bekomme ich Sponsoren und Anerkennung. Wenn nicht, bin ich ein Versager. Da tut sich eine enorme Schere auf", sagt Uhl. Ebenso belastend sei der ständige Bewertungsdruck, dem sich Spitzensportler unterwerfen müssten, weil dadurch der eigentlich Sinn für den Sport auf lange Sicht verloren gehen würde.

Schutzfaktoren

Um ein Burnout aber erst gar nicht aufkeimen zu lassen, gibt es mehrere Schutzfaktoren: Sei es nun das bereits erwähnte gezielte Energie-Management, ein stabiles Elternhaus, psychologische Vorsorge-Untersuchungen oder soziale Kontakte, die sich nicht über Erfolge definieren. Uhl: "Freunde, mit denen man sich über alles, nur nicht über Sport unterhalten kann, sind für die Athleten enorm wichtig. Außerdem muss man im Spitzensport darauf achten, immer wieder auf den Boden der Realität zurückzukommen. Man muss sich quasi immer wieder erden." Die notwendige Umsetzung liege vor allem auch in der Verantwortung der Trainer. In der Eigenverantwortung liege hingegen trotz all des Drucks, dass man das eigene Menschsein nicht vergisst. So, wie es Lindsey Vonn nicht vergessen hat.