Bis zum Beginn des Jahres 2011 hatte es Reichelt nie unter die besten zehn einer Weltcup-Abfahrt geschafft, seitdem gelang ihm dies schon fünfmal. Die bisherigen Höhepunkte der Leistungsexplosion waren Rang drei im vergangenen November in Lake Louise und Platz zwei am Samstag in Wengen. Als Schlüsselerlebnis sieht Reichelt Kitzbühel 2011, wo er trotz schlechter Sicht sein Herz in die Hand genommen hat und 19. wurde. "Da hat es Klick gemacht", erinnerte sich Reichelt, für den es eine Riesenehre sei, nun auch zum Kreise der "wilden Hunde" in der Abfahrt zu gehören.

Was haben Sie sich am Freitagabend gedacht, als Ihnen die Startnummer 1 zugelost wurde?

Reichelt: "So, jetzt liegt's nur noch an mir. Es war sicher ein Vorteil, den man aber erst einmal ausnutzen muss."

Wie fühlt sich ein Podestplatz bei so einem Abfahrts-Klassiker wie Wengen an?

Reichelt: "Es ist ein wunderbares Gefühl. Als kleiner Bub träumt man davon, bei so einem Rennen auf dem Stockerl zu stehen. Es ist ein Traum in Erfüllung gegangen."

In den vergangenen drei Jahren waren Sie stets zu langsam fürs ÖSV-Team in Wengen gewesen, verspüren Sie jetzt Genugtuung?

Reichelt: "Nein, das ist keine Befriedigung, das war schon in Ordnung. Mir fehlten die Resultate und deshalb haben mir die Trainer gesagt, dass ich nicht auf drei Hochzeiten tanzen soll, sondern mich auf Riesentorlauf und Super-G konzentrieren soll. Heuer läuft es sehr gut und deshalb durfte ich zum Glück überall starten."

Mittlerweile sind Sie einer der aktuell besten Abfahrer der Welt. Sehen Sie sich schon als Abfahrer?

Reichelt: "Ich glaube, die Leute sehen mich mehr als Abfahrer als ich selbst. Aber ich überzeuge mich immer mehr. Ich sehe mich mehr als Allrounder, aber es ist schön, als Abfahrer zu gelten. Die Abfahrer haben innerhalb des Weltcups einen extrem hohen Stellenwert, das sind die wilden Hunde. Jetzt bin ich schön langsam auch ein wilder Hund."

Sind die Abfahrer Ihrer Meinung nach auch bei den "normalen" Schifans die Nummer eins?

Reichelt: "Wenn man Bilder von früher sieht, dann sieht man meistens Abfahrer wie Franz Klammer. Ich glaube, dass sich die Leute mit den Abfahrern mehr identifizieren können. Sie denken, dass sie auch annähernd so fahren können. Einen echten Slalom-Schwung schafft Otto Normalverbraucher hingegen sicher nie."

Haben Sie das Zeug, auch in einer Woche bei der Abfahrt in Kitzbühel eine tragende Rolle zu spielen?

Reichelt: "Ich mag Kitzbühel sehr gerne. Das ist die Abfahrt, auf der ich am öftesten fahren durfte, weil wir Österreich da immer mehr Startplätze haben. Das Zeug dazu habe ich sicher. Aber das reicht nicht. Glück, Material, Gesundheit und Leistung müssen zusammenstimmen, dann ist sehr viel möglich. Aber Beat Feuz zu biegen, das wird auch in Kitzbühel sehr schwer."