Zu behaupten, Victoria "Vicky" Duval sei auf die Butterseite des Lebens gefallen, wäre einschätzungstechnisch gesehen schlichtweg falsch. Denn in der noch kurzen Biografie der erst 19-Jährigen jagt ein erschütternder Lebenseinschnitt den nächsten. Im Alter von sieben Jahren wurde die Amerikanerin mit zwei Cousins in Haiti, der ursprünglichen Heimat ihrer Eltern, Opfer einer Geiselnahme. Acht Jahre später lag Duvals Vater 2010 bei dem katastrophalen Erdbeben auf dem karibischen Inselstaat, das zumindest 220.0000 Opfer forderte, für mehr als elf Stunden unter den Trümmern lebendig begraben und musste wegen der Langzeitschäden seinen Beruf als Gynäkologe aufgeben. Doch der schlimmste Moment in Duvals bisherigem Dasein sollte da erst noch folgen . . .

Schlag ins Gesicht

Im Juni des vergangenen Jahres – also zum selben Zeitpunkt, als sie erstmals den Sprung unter die Top 100 geschafft hatte – bestritt Duval die Qualifikation für Wimbledon, als ihr die Ärzte mitteilten, sie sei am Hodgkin-Lymphom (ein bösartiger Tumor des Lymphsystems) erkrankt. Ein Schlag ins Gesicht für das aufstrebende Tennis-Talent, den sie jedoch auf ihre Art verarbeitete. Anstatt sich sofort in Behandlung zu begeben, spielte Duval die Qualifikation fertig, schaffte den Sprung in den Hauptbewerb und musste sich dort erst in der zweiten Runde geschlagen geben.

Erst danach begab sich Duval in die Obhut der Ärzte. Es folgten eine Zeit des Bangens, eine Chemotherapie mit fünf Zyklen sowie Monate täglicher Bauch-, Kopfschmerzen und großer Zweifel, ehe sie am 21. September 2014 glücklich auf Twitter verkünden konnte: "Ich habe den Krebs besiegt!" Aber es dauerte Monate, bis die Spitzensportlerin ihren geschwächten Körper wieder in wettkampftaugliche Form gebracht hatte. Und so gab sie erst vergangene Woche beim ITF-Turnier in Landisville, wo sie es auf Anhieb bis ins Viertelfinale schaffte, ihr Comeback.

Wildcard für New York

Die Belohnung dafür folgte nun auf den Fuß. Für die am 31. August startenden US Open erhielt Duval, die derzeit in der WTA-Weltrangliste kein Ranking innehat, eine Wildcard für die Qualifikation. An ihren Zielen hat sich trotz der Erkrankung nichts geändert. "Ich will nach wie vor unter die Top zehn der Welt. Es wird nun zwar ein längerer Prozess, aber ich bin überzeugt, es schaffen zu können", sagte Duval, die während ihrer Erkrankung vor allem von Venus Williams viel Unterstützung erhielt, in Landisville. Ihr neues Lebensmotto: "Zu verstehen, dass alles aus einem bestimmten Grund geschieht."

Duval ist nicht das einzige Tennis-Ass, das ein solches Schicksal ereilte. 2011 wurde bei der zweifachen russischen Turniersiegerin Alissa Kleibanowa so wie 2013 auch beim britischen Doppel-Spezialisten Ross Hutchins dieselbe Krankheit diagnostiziert. Beide konnten den Krebs besiegen und auf die Tour zurückkehren. Die ehemalige Weltranglisten-49. Elena Baltacha verlor hingegen 2014 den Kampf gegen die Krankheit – die Britin erlag 30-jährig einem Leberkarzinom.

ALEXANDER TAGGER