Jürgen, hinter dir liegen stressige Wochen. Wie gut hat dir die erste von Turnieren und Davis Cup freie Woche seit der zweiten Australian-Open-Woche getan?

MELZER: Sehr gut natürlich! Ich habe einen Tag Pause gemacht und Golf gespielt, ansonsten die Zeit zum Training genützt, was in den letzten Wochen zu kurz gekommen ist. Ich habe schon ein bisschen was weitergebracht, würde ich sagen, und es war auch angenehm, hier noch einige weitere matchfreie Tage zu haben, da ich hier in Miami noch ins Hauptfeld gerutscht bin.

In Indian Wells musstest du einen Tag nach deiner Anreise vom Davis Cup in Schweden auf den Platz, hast dich dennoch qualifiziert und dann das 34. Mal einen Hauptbewerbs-Auftaktsieg bei einem ATP-Masters-1000-Turnier gefeiert. Ein Erfolg von vielen oder – aufgrund der Vorgeschichte – einer mit besonderem Stellenwert?

MELZER: Ich weiß nicht, ob es deshalb einen besonderen Stellenwert hat. Ich habe mich einfach gefreut, dass ich Matches kriege. Als ich die Quali-Auslosung bekommen habe, wusste ich, dass mein Gegner (Danai Udomchoke; Anmerkung) auch direkt vom Davis Cup hergekommen ist. Das waren zwei Leichen am Platz, muss man schon sagen. Ich habe mich eben durchgebissen, er nicht. Das zweite Spiel (gegen Michael Russell; Anmerkung) war mit dem Jetlag schwieriger, aber ich habe um einiges besser gespielt, es war meine beste Partie in der Woche. Nach dem Sieg gegen Dennis Novikov hatte ich dann gegen John Isner null Chancen bei seinem Service. Wenn ich mit meinem Return als Rückschläger mal bloß fünf Punkte mache, dann weiß man, was es geschlagen hat. Zudem war er von hinten auch sehr dominant und hat außerordentlich gut returniert, was sonst ja nicht so seine Stärke ist. Da muss man anerkennen, dass er einfach dieses Mal besser war. In Summe bin ich froh, dass ich dort vier Matches bekommen und drei davon gewonnen habe, obwohl ich jetzt noch nicht so super gespielt habe – aber ich habe die Spiele eben gewonnen, und das zählt im Endeffekt.

Wie sehr ist das gute Abschneiden für dich nach deinen verpatzten letzten Wochen und dem für dich persönlich bitter verlaufenen Länderkampf aus dem Nichts gekommen?

MELZER: Es war mir klar, dass ich wieder gewinnen werde. Und hätte ich die Trainingsleistungen vom Davis Cup in die Matches gebracht, wäre alles kein Problem gewesen. Das Problem war: Im Training habe ich okay bis gut gespielt, im Match konnte ich aber zuletzt nicht richtig locker lassen und habe mir da selbst zu viel Druck gemacht. Dass das irgendwann wieder wegfällt, ist jetzt natürlich sehr, sehr angenehm. Das passiert aber, wenn man eben dranbleibt.

Vor Zagreb hattest du eine Grippe, danach wieder Rückenprobleme. Wie sehr war das für deine zwischenzeitlich schwachen Ergebnisse mitverantwortlich?

MELZER: Nun ja, der Rücken war schon für Rotterdam zu schlecht. In Marseille konnte ich nicht einmal mehr wirklich sitzen. Da reden wir nicht nur von Schmerzen beim Spielen, sondern etwa beim Abendessen – da sitzt man dann doch lieber als man steht. Ich kann mich nur bei Ulrich Lanz und Florian Wepner vom Orthopädischen Spital in Wien-Speising sehr bedanken. Die beiden haben den Probleme bereitenden Nervenstrang zuerst mit Cortison betäubt und dann Spritzen an die Nervenwurzeln der Wirbelsäule gesetzt. Das Cortison hat eine Halbwertszeit von sechs Wochen, ich bin jetzt immer noch nicht ganz schmerzfrei, aber es ist bereits deutlich besser – vor Dubai war es wieder okay. Nach den USA werde ich wohl nochmal hingehen und mir die Nervenenden eventuell veröden lassen. Dann hätte ich diesbezüglich wohl zwei Jahre Ruhe, danach wachsen die Nervenstränge normalerweise wieder nach.

Der fulminante Auftritt von deinem jüngeren Bruder Gerald im entscheidenden fünften Match beim Davis Cup in Schweden hat deine zu dieser Zeit wohl angeschlagene Laune sicher gehoben, oder?

MELZER: Blut ist dann halt doch dicker als Wasser. Und wenn man dann sieht, wie sein Bruder so eine Situation meistert und in die Bresche springt, dann ist man da unendlich stolz. Da geht es gar nicht um gut oder schlecht spielen, sondern darum, wie er diesen Druck bewältigt hat. Ich bin mir sicher, dass ich mich nicht mehr gefreut hätte, wenn ich in der Partie selbst auf dem Platz gestanden wäre und es gewonnen hätte. Auch in Miami hat man in der Qualifikation gesehen, wie sehr ihm der Erfolg geholfen hat. Für ihn ist ein Knopf am Aufgehen, auch wenn er gegen Benoit Paire verloren hat. Er hat jetzt ein Tennis, mit dem er seinen Weg machen wird.

Du bist seit Montag erstmals seit August wieder in den Top 80 der Welt, ein halbes Jahr nachdem ein Karriereende im Einzel schon durchaus im Raum gestanden war. Wie sehr hast du dran gezweifelt, ob du nach deiner Auszeit von Oktober 2013 bis April 2014 und deinen Schulterproblemen wieder den Anschluss schaffst?

MELZER: Natürlich ist da die Frage gewesen, ob das überhaupt wieder funktioniert, und dann auch, ob es spielerisch noch reicht. Ich bin sicher noch nicht dort, wo ich vor meiner Verletzung war, da war ich die Nummer 23 der Welt. Bis dahin ist es ein sehr weiter Weg. Man sagt ja, dass man nach einer Verletzung mindestens doppelt so lang wie die Dauer der Pause braucht, um wieder dort hinzufinden, wo man vorher war. Und die anderen schlafen auch nicht. Ein halbes Jahr zu pausieren, das kann man nicht einfach wegmachen. Es ist in so einer Zeit wichtig, den Glauben an sich selbst zu haben. Und ich bin noch gut genug, davon bin ich überzeugt.

Das „Race to London“ weist dich allerdings noch nicht unter den Top 100 aus. Siehst du dich dennoch auf Kurs Richtung der angepeilten Top 50 bis zu den French Open?

MELZER: Das wird eng werden, muss ich sagen. Man gibt halt gern ein Ziel aus, aber wichtiger ist, dass ich sehe, ich bin dabei, dann habe ich kein Problem damit, mal auf Platz 75 zu stehen. Bitterer wäre es eher, wenn man draufkommt, dass es nicht zu mehr als Rang 75 reicht. Wie es ist, das wird sich noch herausstellen.

Wenn man dir zusieht, gibt’s spielerisch keine Zweifel, dass du zurück unter die Top 50 gehörst. Das Alter und, damit verbunden, die mehr werdenden Wehwehchen kann man allerdings schwer leugnen. Siehst du dich auch körperlich mit bald 34 Jahren unter den Top 50 der Welt?

MELZER: Wenn ich meinen Rücken so halten kann, wie er jetzt ist, sehe ich kein Problem. Das ist halt das große Fragezeichen. Es ist sehr angenehm, jetzt einmal vier, fünf Wochen fast komplett schmerzfrei zu sein, das hilft einem halt schon weiter. Kleinigkeiten werden immer kommen, aber das mit dem Rücken habe ich schon über so viele Jahre hinweg gehabt. Da macht’s dann dazwischen auch mal sehr wenig Spaß.

Die unumstritten beste Phase deiner Karriere war vor vier bis fünf Jahren. In welchen Bereichen, denkst du, bist du derzeit am meisten vom damaligen Niveau entfernt?

MELZER: In vielen, wahrscheinlich in allen. Am meisten sicherlich körperlich, so wie ich mich damals bewegt habe. Das war schon außerordentlich gut. Zudem hatte ich eine Schlagsicherheit, die extrem gut war. Mein grundsolides Spiel von damals fehlt einfach. Ich mache im Moment zu viele Fehler, die unnötig sind, aus einer normalen Rallie heraus. Und das muss man abstellen, sonst wird man es nicht weiter nach vorne schaffen.

Du hast es damals unter Joakim Nyström – wie du bereits gesagt hast – so gut wie sonst nie verstanden, von der Grundlinie sicher zu spielen, hast dich immens gut bewegt, die Ballwechsel unglaublich gut und schnell neutralisiert. Inwieweit haben sich diese Dinge vielleicht ein wenig geändert? Musst du deine Partien, auch vielleicht durch das Alter, heutzutage etwas anders gewinnen als damals?

MELZER: Ja, mit Sicherheit! Das Tennis hat sich schließlich auch weiterentwickelt, es geht viel mehr in die Richtung, dass öfter hin und her gespielt wird. Da genügt es nicht mehr, fünf, sechs Bälle zu neutralisieren, man muss es viel öfter können. Dessen muss man sich auch bewusst sein. Dafür braucht man Fitness über einen längeren Zeitraum hinweg. Und wenn man diese nicht hat, dann reicht es halt nicht für weiter oben.

Du trainierst derzeit wieder mit Jan Velthuis. Spricht man von Beziehungen, sagt man ja: „Aufgewärmt schmeckt nur Gulasch gut.“ Wie ist das bei euch?

MELZER: Es ist super. Jan hat sich in den letzten Jahren als Tennistrainer extrem weiterentwickelt. Mir taugt’s! Ich habe jetzt doch den einen oder anderen Trainer in den letzten Jahren ausprobiert, und ich bin sehr, sehr gerne mit ihm unterwegs. Es ist ein super Vertrauen da, und das ist auch enorm wichtig.

Auch auf deinen Werbeflächen hat sich in den vergangenen Monaten einiges getan. Böse Zungen sagen, dass du etwa von „adidas“ nach zehn Jahren quasi ausgemustert worden bist. Kann man das so sagen?

MELZER: Es stimmt, dass ich nicht mehr „adidas“ habe – das ist jedem schon gut aufgefallen. Es war so, dass sie als Ausrüster von, ich glaube, 22 Spielern auf elf Spieler hinuntergegangen sind. Ausgemustert? Na ja, mir wurde nach so vielen Jahren kein neuer Vertrag mehr zu ähnlichen Konditionen angeboten. Somit entwickelt man sich dann einfach weiter.

Ist es für dich als Österreichs zweitbester Spieler aller Zeiten leicht, neue Sponsoren wie „erima“ oder „Ströck“ zu finden?

MELZER: Es bedeutet einfach, dass ich einen guten Manager habe. (Ex-ÖTV-Präsident und -Thomas-Muster-Manager Ronnie Leitgeb; Anmerkung) Ich bin den Firmen natürlich sehr dankbar, dass sie sich im letzten Drittel oder vielleicht am Schluss meiner Karriere noch anschließen und wir mit den Sponsoren eine super Zusammenarbeit haben, ob das jetzt „erima“, „Ströck“ oder „Simacek“ ist. Das taugt mir extrem. In meinem Alter weiß man das dann natürlich auch etwas mehr zu schätzen.

Du hast – wenn auch bei großen Ausgaben – bald 9,5 Millionen US-Dollar an Karriere-Preisgeld verdient. Wie angewiesen ist jemand wie du auf solche Sponsoren überhaupt?

MELZER: Angewiesen vielleicht nicht. Ich glaube einfach, dass es eine sehr, sehr gute Zusammenarbeit ist. Das sind jetzt keine Investoren, sondern die haben auch etwas davon. Ich glaube, dass es sehr, sehr wichtig ist, dass das ein Geben und Nehmen ist und dass man sich da so gut wie möglich austauscht und auch das eine oder andere Projekt macht, dann hat das ja für beide Seiten Sinn. Heutzutage schenkt dir ja niemand mehr Geld, ohne dass er irgendetwas davon hat. Das wäre ja ein Leben im Schlaraffenland, und da befinden wir uns gottseidank nicht.

In Miami hast du einen deiner größten Erfolge der letzten vier Jahre verzeichnet. Wie schön ist es, an so einen Ort zurückzukommen?

MELZER: Es ist immer gut, wo hinzukommen, wo man mal gut gespielt hat. Der Viertelfinal-Einzug ist jetzt zwei Jahre her, keine Frage, und Miami ist nicht eines meiner Lieblingsturniere, muss ich offen und ehrlich sagen. Es behauptet immer, das fünfte Grand Slam zu sein – von dem ist es sehr, sehr weit weg. Da gibt es andere Turniere, die um einiges besser sind. An Indian Wells, zum Beispiel, da kann Miami nicht einmal hinschnuppern.

Was kann man sich von dir dort erwarten?

MELZER: Das Schöne ist sicherlich: Wenn man hier mal gut gespielt hat, dann kann man das vielleicht wiederholen, aber die Bedingungen hier sind auch immer sehr schwer. Die letzten zwei Tage war es brutal heiß, 31 Grad, die Spieler krampfen. Das sind schwierige Bedingungen, die man für sich selbst nützen können muss – und das ist mir vor zwei Jahren gelungen. Dass ich den Erfolg über einen Turniersieg in Winston-Salem stellen würde, glaube ich nicht, aber ich bin guter Dinge, dass ich meine erste Runde zumindest gewinne, und danach schauen wir weiter.

Im Juli – davon darf man bei dir ganz besonders ausgehen – wird der Davis Cup gegen die Niederlande wohl ein Fixpunkt in deiner Planung sein. Es sind in den Medien schon einige mögliche Austragungsorte kursiert: Kitzbühel, Pörtschach, Klagenfurt, vielleicht sogar Niederösterreich. Wo würdest du denn gerne spielen? Hast du Präferenzen?

MELZER: Wenn ich einberufen werde, dann werde ich wieder zur Verfügung stehen, kein Thema. Es ist jetzt schwierig, über einen Ort zu sprechen. Nichts gegen Kitzbühel selber: Ich liebe es, es ist wirklich ein super Turnier und es ist eine super Stadt, es gibt wenige Sommerturniere, die da irgendwie hinriechen können. Nur hat es Robin Haase zwei Mal gewonnen, es wäre also jetzt taktisch wahrscheinlich nicht gerade der beste Zug. Selbst wenn wir dort spielen, werden wir natürlich alles versuchen, dort zu gewinnen, aber ich würde etwas, das nicht in Höhenlage ist, wahrscheinlich bevorzugen. Dabei muss man sich auch nach unseren Single-Spielern richten. Man wird sehen, wer zu der Zeit am besten in Form ist. Ich glaube, dass sich Andi (Haider-Maurer) und Gerald in Schweden sehr gut in den Vordergrund gespielt haben. Ob Dominic (Thiem) spielt oder nicht, wird man sehen, aber ich glaube, in den Medien ist kursiert, dass er gesagt hat, er steht zur Verfügung. Ich weiß das selbst nicht. Wir werden wahrscheinlich aber nur gewinnen können, wenn wir alle an einem Strang ziehen – wurscht, wer im Team ist.

Das Gespräch führte Manuel Wachta, tennisnet.com.