Es gibt glamourösere Orte als Kulisse für das Ende eines ruhmreichen Kapitels. Die Champs Elysees in Paris etwa, auf denen Sir Bradley Wiggins 2012 den ersten britischen Tour-Sieg fixierte. Oder London, wo er im gleichen Jahr Zeitfahr-Olympiasieger wurde. Doch Wiggins wird seine letzten Straßen-Rennkilometer am Sonntag bei Paris-Roubaix im alten Velodrom abspulen.

Danach wird sich Wiggins wieder dem Bahnradsport widmen mit dem Stunden-Weltrekord und vor allem Olympia-Gold in Rio 2016 als großen Zielen. Am Sonntag warten die letzten 253 Kilometer, viele davon über das harte Kopfsteinpflaster auf staubigen Feldwegen aus den Zeiten Napoleons. Wiggins hat den gefürchteten Frühjahrsklassiker in der "Hölle des Nordens" bewusst ausgewählt. "Das Rennen ist ein Kindheitstraum von mir", sagte Wiggins.

Wertigkeit von Siegen

Ein Sieg in Roubaix wäre für ihn mehr wert als der Toursieg 2012. "Sicher, die Tour war eine große Sache, aber hier ist nach sechs Stunden alles vorbei. Es ist der große Gegensatz. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das Rennen einmal von einem Dopingskandal überschattet worden ist. Es geht um nichts anderes als um Radsport."

Wiggins beschreibt, wie er in solchen Rennen die Liebe zum Radsport neu entdeckt hat. Die hatte er 2012 verloren, als ihm der Rummel um seine Person und die immer wiederkehrenden Fragen zum leidigen Doping-Thema zu viel geworden waren. "Ich habe es gehasst, Toursieger gewesen zu sein. Ich habe die Medien dafür gehasst, dass sie mir immer wieder Fragen zu Lance Armstrong gestellt haben. Ich habe Armstrong gehasst, dass er Oprah Winfrey dieses Interview gegeben hat. Und ich habe es gehasst, der Toursieger in einer Periode gewesen zu sein, der all diese Fragen beantworten musste." Er habe sich im Nachhinein oft gefragt, wie er es überhaupt geschafft habe, die Frankreich-Rundfahrt unter diesem großen Druck zu gewinnen.

Rad-Boom auf der Insel

Der Triumph 2012 war der Startschuss eines regelrechten Radsport-Booms auf der Insel mit dem Höhepunkt der Sommerspiele in London. Seine Landsleute hatten sich ihm zu Ehren Koteletten angeklebt, bei der Eröffnungsfeier durfte er mit einem Glockenschlag die 30. Sommerspiele einläuten, und später wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen. "Ich war hier, dort, einfach überall. Ich hatte vergessen, was ich einmal geliebt habe", erzählte Wiggins.

Der verletzungsbedingte Verzicht auf die Tour 2013 sei wie eine Erlösung gewesen, sagte er rückblickend. "Ich war die Affen auf meinem Rücken los und ein anderer musste sie tragen", erklärte Wiggins. Der andere war sein Landsmann Christopher Froome.

WM-Titel als Draufgabe

Als sich der Rummel verzogen hatte, blühte Wiggins wieder auf. An der Tour nahm er nicht mehr teil. Er gewann kleinere Rundfahrten, fuhr die Klassiker und zeigte alte Zeitfahrqualitäten. 2014 schnappte er Tony Martin den WM-Titel weg. Ein Rennen "wie Ali gegen Foreman" sei es gewesen, sagt der 34-Jährige, der sich nun explizit auf Paris-Roubaix vorbereitet hat.

Wiggins kennt nach sieben Teilnahmen die 27 Kopfsteinpflaster-Passagen auswendig. Er weiß, welche Wattzahlen er treten muss und wo die größten Gefahren lauern. Im Vorjahr wurde er Neunter, diesmal soll es für ganz vorne reichen. Als Belohnung wartet ein Pflasterstein auf den Sieger.

Olympia wieder auf der Bahn

Im nächsten Jahr soll es dann wieder Edelmetall sein, wenn Wiggins in Rio auf der Bahn starten will. Mit viermal Gold, einmal Silber und zweimal Bronze gehört er schon jetzt zu den erfolgreichsten britischen Olympioniken. "Ich möchte nicht in den nächsten Jahren vergessen werden und als geschlagener Ex-Toursieger durchs Leben gehen", sagt Wiggins. Die Gefahr ist ohnehin relativ gering.