Flandern ist das globale Epizentrum des Radrennsports. Jedes siebenjährige flämische Kind weiß hundert Mal mehr über den Sport als alle Amerikaner zusammen“, sagte der ehemalige Radprofi Bob Roll einst. Dem kann Sky-Profi Bernhard Eisel nur zustimmen. „Du kannst nirgendwo hingehen, ohne erkannt zu werden. Die Leute müssen nicht nach deinem Namen fragen, sie kennen ihn einfach.“

Ihren jährlichen Höhepunkt findet diese Begeisterung am ersten Sonntag im April. Geschätzt ein bis zwei Millionen Menschen machen sich dann auf um bei der Flandern-Rundfahrt hautnah dabei zu sein. In den Händen halten die meisten die flämische Flagge, darauf prangt ein schwarzer Löwe auf gelben Untergrund. Sie ist nicht nur Sinnbild des belgischen Nationalstolzes, sondern auch ein Charakteristikum dieses Radspektakels, das die Region der „Flämischen Ardennen“ in einen kollektiven Ausnahmezustand versetzt.

Wer es nicht an den gerammelt vollen Streckenrand schafft, der verfolgt das Rennen mit Freunden und Familie vor dem Fernseher. Weitere 1,8 Millionen, wie die Einschaltquoten aus dem Vorjahr schwarz auf weiß belegen. Die Straßen bleiben an diesem Tag jedenfalls menschenleer. . .

Vlaanderens Mooiste, Flanderns Schönste, ist Kulturerbe, Folklore und Heroik zugleich. 1913 initiierte der belgische Journalist Karel van Wijnendaele, Mitbegründer der Sportzeitschrift „Sportwereld“, das berühmte Radrennen, das vor allem durch seine giftig-steilen Rampen, den sogenannten „Hellingen“, die teilweise Steigungen bis zu 22 Prozent aufweisen, und den rauen Kopfsteinpassagen („Kasseien“), unglaubliche Popularität erlangt hat. Und von dem eine Faszination ausgeht, die durchaus widersprüchlich ist.

Liebe und Hass

„Die Flandern-Rundfahrt schön zu reden ist schwer“, meint Eisel, der am Sonntag seine 13. „Ronde“ in Angriff nimmt. Es sei eine Mischung aus Angst, Respekt, permanenter Konzentration und völliger Verausgabung. Aber andererseits auch wieder ein Volksfest. Man verfalle in einen tranceartigen Zustand, wenn man sich als Fahrer durch die Zuschauermassen schlängeln müsse. „Ein im Prinzip grandioses Gefühl, wenn es sich nicht gerade um das mit Abstand schwerste Eintagesrennen der Welt handeln würde.“

Am Ostersonntag wird der „Grote Markt“ in Brügge wieder gesteckt voll sein. Radsportfans aus aller Herren Länder werden am Startort der Flandern-Rundfahrt den 248 Radprofis schon beim Einschreiben zujubeln. Sie sind die Helden des Tages. Selbst jene, die nach den 265 Kilometern das Ziel in Oudenaarde verspätet oder gar nicht erreichen. Was hingegen ein Sieg bei der Flandern-Rundfahrt bringt, weiß Routinier Eisel ganz genau: „Mit dem erlangt man hier Unsterblichkeit.“