Mit der 20. Auflage des Australien-Grand-Prix in Melbourne startet am Sonntag die Formel-1-WM 2015. Sie beginnt mit vielen Fragezeichen und einem Favoriten. Denn auch im zweiten Jahr der neuen Motorengeneration dürfte Weltmeister Mercedes dominieren. Während Red Bull, Williams und Ferrari hoffen, aufgeholt zu haben, heißt der Kampf um den Fahrer-Titel wieder Lewis Hamilton gegen Nico Rosberg.

So gesehen würde der Plot jenem des Vorjahres ähneln. Damals waren die neuen V6-Hybrid-Turbomotoren und deren Antriebsstränge das große Fragezeichen gewesen, diesmal sind trotz minimaler Regeländerungen gleich mehrere Dinge an den Nebenfronten offen. Unklar war vor allem die Situation bei Sauber, wo der Niederländer Guido van der Garde erfolgreich seinen Platz in einem Auto eingeklagt hat, obwohl die Schweizer schon zwei Einsatzfahrer haben.

Offen ist auch nach wie vor die Zahl der Rennen, denn über dem Grand Prix von Deutschland herrscht nach wie vor Ungewissheit. Ob es tatsächlich alle zehn Teams über die ganze Saison schaffen, wird sich weisen. Caterham ist verschwunden, Marussia kehrte im letzten Moment als Manor zurück.

16 von 19 Rennen

Im Vorjahr hatten die beiden Mercedes-Fahrer im überlegenen W05 gleich 16 der 19 Saisonrennen gewonnen und der W06 des Jahres 2015 soll dem um nichts nachstehen. Nach den Wintertests ist die Konkurrenz überzeugt, dass Mercedes weiterhin um zumindest eine Sekunde vor der Konkurrenz liegt.

"Unser Auto war schnell und zuverlässig. Es scheint, dass wir einen guten Job gemacht haben", gab sich Motorsportchef Toto Wolff vorsichtig zuversichtlich. "Ferrari", so warnte Wolff aber, "hat offenbar eine guten Schritt gemacht". Dann kommen für den Österreicher die "üblichen Verdächtigen" wie Williams und Red Bull Racing.

Treffen alle Prognosen ein, setzt sich nicht nur die Mercedes-Überlegenheit fort, sondern auch der "Stallkrieg" zwischen den beiden Piloten. Rosberg war 2014 im Qualifying besser, dafür gewann Hamilton (11) deutlich mehr Rennen als Rosberg (5) und damit auch den Titel.

Für das "Rückspiel" hat der Deutsche aber schon einen klaren Plan. "Lewis war im Vorjahr einfach etwas stärker als ich. Diesmal muss ich mehr aus mir herausholen. Den Level im Qualifying halten und mich bei den Siegen verbessern", hat sich der 29-Jährige vorgenommen.

Interner Kampf ist schmutzig

Dass der Kampf gegen den Teamkollegen oft der schwierigste und schmutzigste ist, kann auch Rosberg nicht abstreiten. "Gegen den Fahrer eines anderen Teams wäre es sicher leichter. Im eigene Team musst du immer Kompromisse eingehen, das ist die Herausforderung."

Rosberg ist überzeugt, "dass es wieder schwierige und weniger schwierigere Momente" geben wird. Die Enttäuschung des Vorjahres hat er aber rasch abgehakt. "Weil Erfolge und Misserfolge sehr kurzlebig sind. Es ist mein Traum, Formel 1 Weltmeister zu werden und in diesem Jahr bekomme ich eine neuerliche Chance. Ich bin noch nicht am Höhepunkt meiner Karriere und die Formel 1 ist mehr, als nur am Lenkrad zu drehen."

Doch das weiß auch Hamilton. Er sei so stark wie noch nie, hatte der Sieger von 33 GP-Rennen kürzlich gemeint. Der Brite will unbedingt zum dritten Mal nach 2008 und 2014 Weltmeister werden und es seinem Vorbild nachmachen. "Ayrton (Senna) war stets mein Lieblingsfahrer und ich wollte es ihm immer gleichtun", sagte Hamilton in Melbourne. Der 30-Jährige ist überzeugt: "Ich bin in der Lage, zumindest das Gleiche zu erreichen wie im Vorjahr."

Die einzelnen Teams in der Analyse:

Mercedes: Mit 16 von 19 möglichen Rennsiegen waren die Deutschen das Maß der Dinge im Jahr 2014. Auch diesmal sollten sie die überlegene Mannschaft sein. Die Hauptfrage ist, wie sehr sich die Piloten Lewis Hamilton und Nico Rosberg wieder gegenseitig in interne Kleinkriege verwickeln. Hamilton peilt seinen dritten WM-Titel nach 2008 und 2014 an, Rosberg will das "Rückspiel" unbedingt gewinnen. Dafür braucht der Deutsche mehr Siege als im Vorjahr.

Red Bull Racing: Der entthronte Vierfach-Champion setzt 2015 auf die Jugend und auf eine PS-Steigerung des Renault-Motors. Daniel Ricciardo (25) war 2014 der einzige Nicht-Mercedes-Fahrer mit Siegen gewesen (3) und ist in seinem zweiten Jahr bei den Österreichern bereits Teamleader. Dank des Australiers wurden diesmal zum Saisonstart 10.000 Tickets mehr verkauft. Nach dem Weggang von Sebastian Vettel zu Ferrari wurde der 20-jährige Russe Daniil Kwjat vom Schwesternteam Toro Rosso in den zweiten RB11 gesetzt. Am Auto hat Adrian Newey nochmals Hand angelegt, der Star-Designer weilt auch in Melbourne. Die Winter-Testfahrten verliefen besser als im Vorjahr.

Williams: Das Traditions-Team war 2014 Aufsteiger des Jahres und hofft, auch 2015 dank Mercedes-Motoren und einem gelungenen Chassis, vorne mitzufahren. Mit Felipe Massa (BRA) und dem schnellen Finnen Valtteri Bottas sind die Fahrer gleich geblieben. Entwicklungspilotin ist nach wie vor Susie Wolff. "Wir wollen dort weitermachen, wo wir 2014 aufgehört haben", sagte Bottas. "Es wird Zeit für Siege."

Ferrari: Die sieglose und schlechteste Saison seit über zwei Jahrzehnten soll mit Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen schnell vergessen sein. Die Italiener haben nicht nur Luca di Montezemolo ziehen lassen und mit Maurizio Arrivabene einen neuen Teamchef engagiert, auch Fahrer Fernando Alonso hat zu McLaren gewechselt. Der stattdessen von Red Bull gekommene Vettel soll wie einst Michael Schumacher mit deutscher Gründlichkeit für einen Aufschwung sorgen. "Ferrari hat sich definitiv verbessert und muss wieder an die Spitze", sagte Vettel in Australien. "Es ist eine Ehre, für Ferrari zu fahren. Ich kann das erste Rennen kaum erwarten." Vettels erster Ferrari wurde "Eva" getauft.

McLaren: Wird auch trotz - oder wegen - der neuen Honda-Antriebsstränge nicht so schnell aus der Problemzone kommen und noch länger auf den ersten GP-Sieg seit 2012 warten müssen. Zudem muss der zurückgekehrte Fernando Alonso nach einem dubiosen Testunfall in Australien passen, statt ihm fährt der Däne Kevin Magnussen neben Jenson Button. Alonso wird in Melbourne nicht viel verpassen, das mehrfache Weltmeisterteam kam im Winter auf nur wenige Testkilometer.

Force India: Musste wie einige andere Nachzüglerteams eine Finanzspritze in Anspruch nehmen und hat nur drei Tage im Winter getestet. Für die Boliden von Nico Hülkenberg (GER) und Sergio Perez (MEX) spricht, dass sie Mercedes-Antriebe im Heck haben.

Toro Rosso: Das zweite Red-Bull-Team geht mit den beiden Neulingen Carlos Sainz jr. (20) und Max Verstappen (17) und mit zusammen nur 37 Jahren dem jüngsten Fahrer-Duo der Geschichte an den Start. Trotzdem ist Platz fünf in der Team-WM das Ziel, was angesichts der Probleme von McLaren möglich erscheint. Zudem konzentriert sich Renault 2015 auf RBR und Toro Rosso.

Lotus: Das neue Auto dürfte deutlich besser sein, dazu kommen Mercedes- statt Renault-Motoren. Für Romain Grosjean (FRA) und den Venezolaner Pastor Maldonado scheinen nach dem Durchhänger von 2014 Podestplätze wieder in Greifweite zu sein.

Manor Marussia: Totgesagt und doch wieder dabei. Mit 2014er-Autos und alten Ferrari-Motoren will das gerettete Team antreten, obwohl man keinen einzigen Testkilometer im Winter bestritten hat. Der Brite Will Stevens soll nach Erhalt der Superlizenz die ganze Saison fahren, der Spanier Roberto Merhi ist vorerst nur für Melbourne fix.

Sauber: Die Tragödie geht weiter. Nach einer inferioren Saison ohne WM-Punkt sorgte das Team der Österreicherin Monisha Kaltenborn für die Negativ-Schlagzeilen vor dem WM-Start. Guido van der Garde klagte erfolgreich seinen Platz als Stammfahrer ein, Sauber hat mit Marcus Ericsson und Felipe Nasr aber schon zwei Einsatzpiloten. Wer in Melbourne tatsächlich in den Sauber-Autos sitzt, war selbst einen Tag vor dem ersten Training noch ungewiss. Der neue C34 dürfte aber deutlich besser sein als das Vorjahres-Auto.