Zudem befinde sich Red Bull dort, wo man nie sein wollte: Der österreichisch-englische Rennstall muss Farbe bekennen zwischen dem in der WM besser klassierten Mark Webber und seinem Jungstar Sebastian Vettel.

"Sie sind fast gezwungen, Teamorder zu machen - für Webber und gegen Vettel", meinte Wurz. Der Australier liegt zwei Rennen vor Schluss lediglich elf Punkte hinter Alonso, Vettel bereits deren 25. "Trotzdem werden sie es wahrscheinlich nicht machen." Stallorder sind in der Formel 1 nämlich offiziell verboten, könnten lediglich durch verschiedene Strategien oder Boxenstopps verschleiert werden. Red Bull dürfte diesbezüglich aber aufgrund der prekären Situation besonders unter Beobachtung stehen.

Zudem haben sich die Bullen Gleichberechtigung ganz groß auf die Hörner geschrieben. Lediglich wenn ein Fahrer keine realistische WM-Chance mehr hat, solle er sich in den Dienst der Mannschaft stellen. "Webber hat sich diese Gleichberechtigung heuer erst erkämpfen müssen", meinte Wurz. "Er hat sie ihnen mit seinen Leistungen regelrecht aufgezwungen." Wäre Red-Bull-Liebkind Vettel eine derartige Saison gefahren, wäre er bereits die Nummer eins, mutmaßte der Österreicher.

Zweischneidiges Schwert

Der Sportsgeist könnte Red Bull aber noch teuer zu stehen kommen. Für Wurz ist die fehlende Teamstrategie ein zweischneidiges Schwert. "Die Punkte, die einem der Teamkollege weggenommen hat, fehlen einem irgendwann. Aus sportlicher Sicht ist es cool, aber wirtschaftlich und unemotional betrachtet ist es ein Nachteil", erklärte der 36-Jährige. "Red Bull könnte sonst schon Weltmeister sein." Zweiter Grund dafür, dass sie es nicht sind, sei die mangelnde Standfestigkeit - vor allem zu Saisonbeginn.

Daher lautet Wurz' WM-Tipp auch Alonso. "Weil er die meisten Punkte hat." Ferrari habe im Saisonverlauf aufgeholt, liege vor allem beim mechanischen Grip ganz vorne. McLaren setzt auf seinen leistungsstarken Mercedes-Motor, Red Bull auf die herausragende Aerodynamik, die sich vor allem in mittelschnellen Kurven auswirkt. "Einen Megavorteil haben sich aber nicht", meinte Wurz. "Vor allem nicht in Brasilien." Dort käme der langsame Mittelsektor Ferrari, die Bergaufpassage im dritten Sektor McLaren entgegen.

Chancengleichheit

"Brasilien dürfte ausgeglichen sein, Abu Dhabi ist dann wieder Red-Bull-Territorium", sagte der zweifache Le-Mans-Sieger. Im letzten Saisonrennen im Golf-Emirat hatten die Bullen im Vorjahr einen Doppelsieg gefeiert, 2010 liegen Papierform und Realität aber oft weit auseinander. "Alle Fahrer haben heuer schon Fehler gemacht. Das spricht für den Sport, denn jedes muss ans absolute Limit gehen", erklärte Wurz. "An der Spitze herrscht eine enorme Dichte. Die Leute werden dadurch in die Fehler getrieben."

Selbst Alonso, den Wurz als "Sensationstalent" bezeichnet, das besonders gut mit Druck umzugehen versteht, war davor bisher nicht gefeit. In Monaco etwa hatte der Spanier seinen Ferrari bereits im freien Training zu Schrott gefahren. "Dabei ist er ein Sensationstalent. Eines der größten, das die Formel 1 jemals gesehen hat", erinnerte Wurz. 2005 und 2006 habe Alonso Michael Schumacher mit einem schwächeren Auto (Renault) zweimal den WM-Titel abgeluchst. 2010 könnte selbiges Red Bull passieren.