Rollen, Loopings, enge Kurven mit einem irren Tempo – wie schaffen Sie es, dass Ihnen dabei nicht schlecht wird?
NIGEL LAMB: Du darfst nicht starr nach vorn auf die Nase des Flugzeugs schauen, sondern immer einen Referenzpunkt suchen, auf die Erde schauen. Darum sieht man Piloten in Videos von Loopings immer zur Seite schauen, weil sie dann die Erde sehen. So geht es. Aber mir wurde als Kind im Auto immer entsetzlich schlecht. Und sogar später als Militärpilot noch. Irgendwann hat es dann klick gemacht.


Sie haben einmal gesagt: Das Air Race ist auch spektakulär für Leute, die nichts vom Fliegen wissen. Was sollten die Leute denn vom Fliegen wissen?
LAMB: Dass es leichter ist, als ein Auto zu fahren. Wie oft im Leben schauen die Dinge von außen komplizierter aus, als sie wirklich sind. Wenn du dich dem Ganzen aber Schritt für Schritt näherst, kommst du drauf, dass es viel leichter ist. Das gilt auch für das Geschäftsleben oder wie man ein Unternehmen führt. Nur mit der Ehe ist das anders, das ist wirklich kompliziert. (Lacht)


Wie lange würde es also brauchen, bis ein Laie fliegen kann?
LAMB: Ich kann Sie eine Rolle und einen Looping in fünf Minuten lehren. Weil ich eingreifen könnte, wenn Sie einen Fehler machen. Das ist das Schöne am Fliegen. Wenn Sie auf der Straße einen Fehler machen, kracht es. In der Luft ziehst du die Maschine nach oben und hast wieder Zeit, alles problemlos zu korrigieren.


Richtig fliegen zu lernen dauert aber schon deutlich länger.
LAMB: Meine Kinder haben den Führerschein gemacht und genauso viel Zeit mit Fahren verbracht, wie es braucht, um den Privatpilotenschein zu machen. Und beim Pilotenschein lernen sie Starten, Landen, Landen ohne Motor, Kursefliegen, sie wissen über die Technik und Navigation Bescheid, bla, bla, bla. Kurz: alles, um in eine Propellermaschine steigen und mit ihren Freunden zum Mittagessen nach Frankfurt fliegen zu können.


Sie sind jetzt 58, fliegen Air Shows, sind Air-Race-Weltmeister und machen trotzdem weiter. Sind Sie süchtig nach dem Wettkampf?
LAMB (lacht): Lustige Frage. Meine Familie sagt Ja, ich sage Nein. Wir haben jede Menge Wettkämpfe daheim, meine Frau, meine drei Söhne und ich. Poolbillard, Darts, Tischtennis, Squash, Racketball – alles. Es macht mir nichts, zu verlieren, wenn es ein gutes Spiel war. Meine Familie ist da anderer Meinung. Natürlich würde ich aber meine Söhne nie absichtlich gewinnen lassen. Niemals.


Wie lange wollen Sie das denn noch machen?
LAMB: Körperlich geht das schon noch viele Jahre, wenn du in guter Form bleibst. Aber: Du bewegst eine High-Performance-Maschine knapp über dem Boden. Da musst du achtgeben und das Risiko einschätzen. Vor 25 Jahren habe ich meiner Frau versprochen aufzuhören, wenn die Flamme der Leidenschaft nicht mehr stark genug brennt, denn dann wird es gefährlich.


Und die hohe G-Belastung ist in Ihrem Alter kein Thema?
LAMB: Das hat viel mit Technik zu tun. Es geht darum zu verhindern, dass das Blut im Körper nach unten fließt. Denn das Gehirn soll ja gut durchblutet und mit Sauerstoff versorgt bleiben. Das machen wir mit dem sogenannten M1-Manöver: Du holst tief Luft, hältst den Atem an und spannst die ganze Rumpfmuskulatur an und atmest dann ganz flach. Und: Unsere Sitze im Flugzeug sind nach hinten geneigt, dadurch fließt das Blut bei starken G-Kräften leichter vom Herz ins Gehirn. Das ist übrigens auch der Grund, warum Astronauten immer liegend ins All geschossen werden.


Was ist denn das Schwierigste beim Air Race?
LAMB: Da gibt es so viele Dinge. In welchem Winkel du durch welche Tore fliegst auf einer dreidimensionalen Strecke, die du noch dazu nicht siehst. In der Formel 1 siehst du die Strecke und sogar die perfekte Linie durch den Gummiabrieb der Reifen. In der Luft gibt es 20 verschiedene Linien, die du im Cockpit aber nicht siehst. Dazu kommt, dass wir sehr wenig Trainingszeit haben. Zwei, dreimal um die drei Minuten am Freitag etwa. Da musst du sehr genau wissen, was du mit der Zeit anfängst. Aber das Allerschwierigste ist, in dem Moment perfekt vorbereitet zu sein, wenn du den Knopf drückst und die Maschine startest.


Die neue Saison geht weiter. In Abu Dhabi Mitte Februar sind Sie hinter Hannes Arch nur Fünfter geworden. Können Sie Ihren Titel aus dem Vorjahr verteidigen?
LAMB: Ja, ich denke, dass ich vorne dabei sein kann. Aber von den 14 Piloten können fast alle gewinnen. Die Motoren sind nahezu gleich und alle haben ein sehr ähnliches Kraft-Gewicht-Verhältnis. Das macht es für die Fans so spannend.


Jetzt steht das Air Race in Japan an. Haben Sie eigentlich eine Lieblingsstrecke?
LAMB: Ich habe eher eine Strecke, die ich am wenigsten mag, und zwar Dallas. Die Hitze, der Wind – das ist nicht meins. Und: Ich bin froh, dass wir nicht nach Sotschi müssen. Auf der anderen Seite gibt es viele tolle Locations. Ascot ist super. Budapest sowieso und auch Spielberg. Spielberg war großartig, das ist kaum zu überbieten.


Warum?
LAMB: Erstens die Umgebung, dann landest du auch noch direkt auf dem Gelände und die Strecke ist spektakulär. Ich liebe die Topografie. Der Höhenunterschied zwischen dem Starttor und dem höchsten Tor ist ca. 50 Meter. Da hast du einen richtigen 3D-Kurs. Ein Vorteil ist: Durch die Bäume rundherum hast du mehr Orientierungspunkte als über Wasser. Man kann auch den Abstand zum Boden besser einschätzen.


Sie sind ein Speedjunkie?
LAMB: Das würde ich nicht sagen. Mit einer Concorde konnte man Mach 2 fliegen, ohne es zu merken. Es geht eher um die Wahrnehmung von Geschwindigkeit. Mit 300 km/h knapp über dem Boden, an Bäumen vorbei, über Hügel – darum geht es. Wenn Sie im Jumbo in Reihe 25A sitzen mit der kleinen Scheibe auf der Seite und dem Kaffeewagen am Gang und das Flugzeug bei starken Winden ein bisschen ruckelt – das ist nicht Fliegen. Das ist einfaches Reisen in der Luft. In einem Air-Race-Flieger werden Sie festgezurrt und spüren jede Bewegung, die das Flugzeug macht – und Sie sehen sie auch. Das ist etwas gänzlich anderes. Wenn Sie das gemacht haben, wollen Sie fliegen lernen.

INTERVIEW: KLAUS MOLIDOR