Er war die Nummer eins auf Kollers Liste und das kommt nicht von ungefähr. Als der sonst dem gastgebenden Team gar nicht so wohlgesonnene Schiedsrichter Österreich zum Elfer gegen Brasilien bat, hatte es den Anschein, als wolle Marko Arnautovic unverzüglich zur Tat schreiten. Der Handversehrte schnappte sich den Ball, doch Marcel Koller pfiff ihn zurück. „Ich wollte ihn unbedingt schießen, aber der Teamchef hat es nicht erlaubt.“ Der Schweizer legte großen Wert darauf, dass das Protokoll eingehalten wurde, und bestand auf Aleksandar Dragovic, durch den Ausfall von David Alaba neuer oberster Strafstoßschütze.

Lob von Koller

Der 23-Jährige ist längst mehr als nur ein verlässlicher Innenverteidiger, sondern inzwischen zu einem echten Führungsspieler gereift. Seine Darbietung gegen die Brasilianer hatte Weltklasseformat, und wie er wiederholt die gefinkelten Absichten von Neymar mit scheinbar stoischer Ruhe unterband, rang den Beobachtern ungläubiges Staunen ab. Die Leistung lockte sogar Koller bei dessen Jahres-Abschlussbilanz aus der Reserve, denn der Schweizer ließ sich zu einem Extralob für Dragovic hinreißen. „Zu seiner Aggressivität, Präsenz und Zweikampfstärke hat er auch noch Ruhe und Klarheit dazubekommen und er ist dabei trotzdem auf dem Boden geblieben. An ihm sieht man sehr gut die Entwicklung des Teams“, so Koller über den Dynamo-Kiew-Legionär, dessen möglicher Vereinswechsel bisher nicht über den Gerüchtestatus hinauskam. Kiew ist Tabellenführer in der Ukraine, liegt also vor Schachtar Donezk, das gleich drei Brasilianer (Luiz Adriano, Fred, Douglas Costa) ins Match gegen Österreich schicken durfte.

Dragovic gehört zu den positivsten Erscheinungen dieses Länderspieljahres, hat aber natürlich kein Alleinstellungsmerkmal, denn er wird seit einiger Zeit bestens unterstützt von Martin Hinteregger. Der 22-jährige Kärntner strahlt eine Sicherheit aus, die mit jedem Match an Kraft gewinnt, und mit dem Gegner zu wachsen scheint. Die Innenverteidigung, vor nicht allzu langer Zeit eine Schwachstelle im österreichischen Team, hat entscheidenden Anteil am Aufschwung.

Dazu kommt, dass auch Marko Arnautovic zuletzt konstant starke Leistungen bot, und das launische Moment offenbar komplett ausgeschaltet hat. Seine spielerischen Einlagen übertrafen bisweilen sogar die Brasilianer. Was ihm noch fehlt, ist ein Torerfolg, doch Letzteres ist das gravierendste Problem der Österreicher. Ein Torjäger wird noch immer gesucht.

HUBERT GIGLER