"Entschuldigung, jetzt muss ich einen Schluck Wasser trinken." Das konnte man Marcel Koller auch wahrlich nicht verdenken, denn die Stimme des Teamchefs war noch ziemlich angekratzt, als er zur letzten Pressekonferenz des Jahres bat. Diese nützte der 54-Jährige aber nicht nur, um das 1:2 gegen Brasilien noch einmal zu analysieren, nein, der Schweizer holte weiter aus.
Aber der Reihe nach: Erst einmal gestand er, dass er sich nicht ganz sicher ist, ob nach dem Duell gegen die Südamerikaner die Freude über die gute Leistung überwog oder doch der Ärger über die knappe Niederlage. "Es hält sich vermutlich die Waage", meinte der 54-Jährige und lobte sein Team in erster Linie dafür, dass es die taktischen Änderungen gegenüber dem 1:0 gegen Russland umzusetzen in der Lage war, obwohl dazwischen nur eine Trainingseinheit auf dem Programm stand. "Ich gebe zu, dass das ein bisschen Harakiri von meiner Seite her war und ich nicht wirklich überzeugt, dass es auch klappen würde. Umso schöner also, dass es klappte." Ein Zeichen auch, dass seine Spieler im Lauf der drei Jahre, die Koller nun im Amt ist, im Kopf gereift seien. "Wir sind heute viel flexibler als noch vor einem Jahr."

DAS PROJEKT FUNKTIONIERT

Was die Bilanz des gesamten Kalenderjahres 2014 betrifft, so überwiegt klarerweise eindeutig die Freude. "Wir haben mit einem 1:1 gegen Uruguay begonnen, was schon beachtlich war. Und auch danach kein Spiel mehr zu verlieren, außer das gestrige, ist für mich ein Beweis, dass wir das nötige Selbstvertrauen mitbringen. Da gewinnt man auch Spiele, obwohl man das schwächere Team ist", sagte er und meinte damit den Test in Tschechien.
Das, was Koller vor drei Jahren in Österreich in Angriff nahm, nennt er sein "Projekt". Ein Projekt, auf das er nicht nur wegen der "Momentaufnahme Tabellenführung" in der EM-Qualifikation stolz ist. "Ich bin stolz, weil es so offensichtlich ist, dass da viel weitergegangen ist. Und mit dem stetig steigenden Selbstvertrauen steigt auch die spielerische Qualität", erklärt der Trainer und nennt, entgegen seinen sonstigen Gepfolgenheiten, sogar einen Namen. "Aleksandar Dragovic etwa hat sich enorm gesteigert und zuletzt zwei Mal wirklich überragende Leistungen geboten. Generell ist es so, dass meine Spielphilosophie und meine Ideen inzwischen auch in den Köpfen der Spieler fest verankert sind."

DER CHEF GÖNNT DEN SPIELERN DIE PAUSE

Es lohne sich eben, geduldig zu sein, so Koller. Und so sieht er sich auch bestätigt, dass es vor einem Jahr der richtige Schritt war, den Vertrag beim ÖFB zu verlängern und nicht dem Schweizer Lockruf zu folgen."Es ist zwar nach wie vor so, dass ich während eines Spieles ein bisschen zu viel hineinschreien und an der Linie herumhampeln muss, aber auch das wird sich bessern, wenn wir unseren Weg weiter so konsequent verfolgen."
Den Teamspielern gönnt er nun die Teampause. "Die werden froh sein, dass jetzt einmal Ruhe ist bis März." Im März geht es übrigens mit dem Qualifikationsspiel in Liechtenstein weiter.
Koller selbst wird in den kommenden Tagen ein wenig entspannen, seinen Stimme wiederfinden, und dann geht es weiter mit Spiel- und Spielerbeobachtungen. "Ich muss am Ball bleiben, also starte ich wieder meine Touren", sagt Koller. Das Team wird es ihm hoffentlich weiter danken.

ACHIM SCHNEYDER