Die meisten Fußballer beenden ihre Karriere im österreichischen Nationalteam still und leise – wegen nachlassender Leistungen oder aufgrund nachrückender, stärkerer Konkurrenten werden sie einfach nicht mehr einberufen. Einige wenige – wie etwa Rekordteamspieler Andi Herzog oder Rekordtorschütze Toni Polster – werden aufgrund ihrer Verdienste mit viel Brimborium offiziell verabschiedet. Paul Scharner hingegen hat eine Methode gewählt, die typisch für den Querdenker ist und sich durch seine ganze Laufbahn zieht: den Knalleffekt.

"Er geht eben seinen Weg"

Weil ihm Teamchef Marcel Koller im Testspiel gegen die Türkei und in der mit September ausgerechnet gegen Deutschland startenden WM-Qualifikation keine "Schlüsselrolle" zugestehen wollte, packte Scharner kurzerhand die Koffer und reiste aus dem Team-Camp ab. "Wenn Paul entwertet wird, macht er nicht mehr mit", sagte Scharners nicht unumstrittener Mentalcoach Valentin Hobel dazu. Scharner selbst schwieg vorerst zu den Gründen seines vorzeitigen Aufbruchs. Wieder Hobel: "Er geht eben seinen Weg, und ich bin ein Coach, der ihm sagt, dass er seinen Weg gehen muss."

Der 32-jährige Niederösterreicher ist definitiv immer seinen eigenen Weg gegangen: Als er vom damaligen Austria-Coach und heutigen DFB-Bundestrainer Jogi Löw partout nicht auf der von ihm gewünschten Position eingewechselt wurde, verweigerte sich der damals 23-Jährige – es war Scharners letzter Auftritt am Verteilerkreis. Via Salzburg und Norwegen gelingt ihm dann im Jänner 2006 völlig überraschend der Sprung auf die "Insel". Der Defensiv-Allrounder heuert bei Wigan Athletic an und avanciert dort zum Publikumsliebling. Nach insgesamt sechseinhalb Jahren in der Premier League (bei Wigan und West Bromwich Albion) ist es dann Zeit für einen Wechsel, vor wenigen Tagen erst wird Scharner vom deutschen Traditionsverein Hamburger SV unter Vertrag genommen.

Turbulent verläuft auch die Team-Karriere: Die inhaltlich durchaus angebrachte Kritik an den "unprofessionellen Strukturen" im Verband kostet ihn 2006 den Platz in der Hickersberger-Elf, auch für die EM im eigenen Land wird Scharner deswegen nicht berücksichtigt. Danach kehrt der England-Legionär sogar als Kapitän in den ÖFB-Stamm zurück, um sich dann nach Didi Constantinis Abtritt selbst als "Spielertrainer" ins Spiel zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt hat Scharner längst sein Image weg: ein zwischen selbstbewusst und überheblich auftretender, eloquenter Querdenker und Individualist mit zumindest origineller Selbstwahrnehmung. Seine Team-Auftritte lassen angesichts seiner England-Routine oft zu wünschen übrig, teils erweckt er den Eindruck, von Strafraumabräumer bis Strafraumstürmer alles spielen zu wollen und zu können.

Vierkampf um zwei Plätze

Man muss nicht das Klischee von den "elf Freunden" zu bemühen, um zu wissen, dass der Exzentriker Scharner mit diesem Verhalten dem Erfolg des Teams nicht unbedingt zuträglich war und ist. Der Kreis der Führungsspieler in der Koller-Elf, die dennoch an einem Strang ziehen können, hat sich zudem stark vergrößert – wohl auch ein Effekt des verstärkten Engagements im Ausland. Auch sportlich hinterlässt der Deutschland-Legionär, der sich mit der jüngsten Aktion wohl endgültig ins Out manövriert hat, keine allzu großen Lücken. Im defensiven Mittefeld wäre der 32-Jährige wohl kaum mehr zum Einsatz gekommen, zudem stehen hier mit David Alaba, Julian Baumgartlinger, Veli Kavlak oder Yasin Pehlivan einige hochkarätige junge Kräfte zur Verfügung. In der Innenverteidigung hätte sich Scharner – offensichtlich zu seinem Unwillen – mit Emanuel Pogatetz, Sebastian Prödl und Aleksandar Dragovic um gerade einmal zwei Plätze duellieren müssen.

Hier hätte sich Koller eigentlich schon vor den beiden Ländermatches gegen Ukraine und Rumänien Anfang Juni, als beide Male Scharner aufgeboten wurde, auf ein Abwehr-Duo für die ganze WM-Quali festlegen sollen. Anbieten würde sich Prödl/Dragovic, die wohl noch einige Jahre miteinander im Nationalteam spielen werden. Abseits des genannten Trios stünden ja auch noch Franky Schiemer, Georg Margreitter oder Christopher Dibon als mögliche Ersatzleute parat. Paul Scharner hingegen wird sich wohl mit seiner Aktion vom Mittwoch selbst aus dem Spiel gebracht haben, sich vielleicht den Traum von Brasilien 2014 zu erfüllen und auch aus dem großen Abschiedsmatch im Wiener Ernst-Happel-Stadion wird es wohl nichts mehr werden.