Als Florian Kainz für seinen neuen Arbeitgeber Rapid Wien vor zehn Tagen in der Grazer UPC-Arena gegen seinen Ex-Verein SK Sturm auf das Spielfeld lief, schlug dem Steirer vonseiten der schwarz-weißen Fans wie befürchtet gnadenloser Hass entgegen. Ein aufgepfählter Sauschädel, das öffentliche Verbrennen seines Sturm-Trikots und Schmährufe gegen seine Mutter warfen wieder einmal die Frage auf, warum spezielle Anhänger-Gruppen eines Vereins immer wieder die Grenzen des Tolerierbaren überschreiten und ein Fußballstadion in einen Moloch von Diskriminierung, Rassismus und Gewalt verwandeln.


Um das Handeln dieser Gruppen besser verstehen zu können, ist es für den Sportpsychologen Alois Kogler wichtig, vorweg den Begriff Fan zu definieren. So hat ein Fan „eine emotionale Zugehörigkeit und Bindung zu einer Gruppe oder Person, die er als eine Art Sekundärfamilie ansieht. Haben diese Menschen sonst niemanden um sich, sehen sie die Gruppe sogar als Primärfamilie“. Um wiederum eine Gruppe zu sein, „müssen sie sich von anderen abgrenzen. Und jede Gruppe hat bestimmte Symbole und Rituale, also Erkennungsmerkmale“, erklärt Kogler.

Singen und Schwingen

Dem Grazer ist es auch wichtig zu betonen, dass Fußballfan zu sein grundsätzlich nichts Negatives ist. Weil es prinzipiell doch etwas absolut Schönes an sich habe, „wenn Gruppen mit Vereinsschals oder -shirts singend durch die Straßen ziehen und ihre Fahnen schwingen“. Wobei es bekanntlich nicht immer bei diesem friedvollen Szenario bleibt . . .


Und warum zeigt dieses „Schöne“ mitunter plötzlich eine Fratze des Bösen? Kogler: „In jeder Gruppe gibt es ein bis drei Führer, deren Rollen klar definiert sind und die sich stets mit diversen Aktionen bewähren müssen. Und wenn sich eine Gruppe etwa durch das Ritual Radau oder Randale ausweist, dann machen da alle mit. Das ist eine ungeschriebene Regel.“


Auslöser sei unter anderem der Kampf gegen die Bürgerlichkeit. „Sie verabscheuen das bürgerliche Schwächeln und sagen: ,Ihr Idioten seid Schwächlinge, wir sind die wirklichen Kulturträger. Wir zeigen euch die wirkliche Gegenkultur – bei uns dürfen Emotionen noch gelebt werden.‘“ Und um zu zeigen, dass sie etwas Besonderes sind, käme es auch andauernd zu gesellschaftlichen Überschreitungen.

Madonna und Lady Gaga


Eine Vorgehensweise, die natürlich nicht nur Fußballfans vorbehalten ist. So würden etwa auch Pop-Größen wie Madonna oder Lady Gaga bei ihren Auftritten bewusst Provokationen und Herabwürdigungen einsetzen, „weil es zum Geschäft gehört“, betont der Sportpsychologe.
Dass sich die Fußballfans mitunter von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde verwandeln würden, will Kogler nicht bestätigen. Und zu sagen, dass alle Fans Idioten seien, wäre natürlich ebenso falsch. „Fan-Gruppen sind wichtig, doch muss es sich im legalen Rahmen bewegen. Und da Aggressivität nun einmal Aggressivität anzieht, werden die Fan-Gruppen in den Stadien ja auch vorsorglich voneinander getrennt.“
Doch nochmals zum speziellen Fall Kainz: Da wäre es unter anderem auch das Problem gewesen, dass sein Wechsel zu Rapid nicht dem Stammesdenken entsprochen hätte. Die Gesänge gegen die Mutter wären natürlich allertiefstes Niveau, der Sauschädel (dieser trägt als Kopf eines unreinen Tieres die Symbolik der Widerwärtigkeit) wiederum sei ein weiterer Akt der Gruppe, ihre Lust auf Nichtzivilisiertheit zu betonen, gewesen.

Komplexes Wechselspiel


Dabei wäre es laut Kogler relativ einfach gewesen, die Gruppen zu „überstimmen“. „Der Stadionsprecher müsste nur sagen: ,Freuen wir uns auf unsere ehemaligen Spieler Kainz und Beric.‘ Ich bin mir sicher, der Großteil des Publikums hätte geklatscht.“ Zwischen den Fan-Gruppen und den normalen Fans herrsche ein komplexes Wechselspiel, der Stadionsprecher könne das Publikum dirigieren und dadurch kulturelle Fan-Arbeit leisten. „Artet es jedoch so wie im gegebenen Fall aus, müsste die Vereinsführung reagieren und Präsident Jauk diesem Treiben einen klaren Riegel vorschieben.“
Und Koglers Fazit? „Die Fan-Kultur ist heftig und eruptiv – aber ich spreche mich prinzipiell für das testosterongeschwängerte Fan-Wesen aus. Nur wäre es hilfreich, wenn kreativere Elemente als das Prügeln oder Abwerten anderer Menschen eingesetzt werden würden. Und fest steht natürlich auch, dass man den harten Typen ihre Grenzen aufzeigen muss.“