Die Wiege des Fußballs steht, auf gut Deutsch, in einer „Gstättn“. Eine matschige Wiese in der Hügellandschaft nahe der Stahlstadt Sheffield in der englischen Grafschaft Yorkshire, eine halb verfallene Sitzplatztribüne mit fünf Reihen hinter dem Tor, auf der Längsseite ein überdachter Stehplatz. Auf der Gegengerade liegen schwere Plastikplanen auf dem Hügel, damit die Erde vom Regen nicht auf das Spielfeld rutscht. Dort ist der FC Sheffield zu Hause, gegründet 1857 und mit 157 Jahren der älteste Verein der Welt. Schwarze Baucontainer dienen als Büros, Kabinen und Repräsentationsräume. „Wir sind stolz, endlich eine Heimat zu haben“, sagt Bill Towning, der Sekretär des Vereins. Denn 140 Jahre lang hatte der FC Sheffield keine eigene Heimstätte.

In seinem karierten Hemd, der braunen Bundfaltenhose und der Wachsjacke könnte Towning auch einen verarmten englischen Landgrafen geben. Mit stolz geschwellter Brust erzählt er von den Anfängen und davon, dass der Klub in seinen Statuten den immerwährenden Amateurstatus festgeschrieben hat. Darum bewegt sich just der traditionsreichste Fußballklub der Welt in der 7. Leistungsstufe, der „Northern Premier League Division One South“.

Das älteste Derby der Welt

Und es würde ihn wohl gar nicht mehr geben, wenn Richard Tims nicht 2001 das Ruder als Präsident übernommen hätte. Erst Tims war es, der versucht hat, aus dem Alter des Vereins Kapital zu schlagen und auch hervorzukehren, dass die Fußballwelt seinem Verein einiges verdankt. Im 19. Jahrhundert war Sheffield Vorreiter in Sachen Innovation. Der FC führte die Querlatte ein, die zuvor eine einfache Schnur gewesen war, man erfand den Eckball und den Einwurf und spielte 1878 zum allerersten Mal ein Spiel unter Flutlicht. Und das älteste Derby der Welt ist nicht das „Old Firm“ zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers, sondern jenes zwischen dem FC Sheffield und Hallam FC, das 1860 erstmals stattgefunden hat. „Auch heute spielen wir in der Vorbereitung im Sommer immer noch einmal gegeneinander“, erzählt Towning.

Während sich auf dem tiefen Rasen ie Damenmannschaft für das FA-Cup-Spiel gegen Blackburn aufwärmt und eine Handvoll Besucher aus dem nahen „Coach and Horses“-Pub herüberschlendert, führt Towning in den „Boardroom“, eine Art Repräsentationsraum, in dem sich die Erinnerungsstücke türmen. Allerhand Trophäen und Urkunden stehen in dem Container herum. Dressen von berühmten Gastmannschaften, Fotos von einem Turnier in Hongkong. Und natürlich der „Order of Merit“, der FIFA-Orden für besondere Verdienste, den Sheffield als einziger Verein weltweit neben Real Madrid erhalten hat. Auf einem Tisch liegen Sandwiches in Frischhaltefolie. „Für die Funktionäre der Gastmannschaften.“

Ajax Amsterdam und Arsenal London waren schon in der Heimstätte des FC Sheffield zu Gast, eröffnet wurde das „Coach and Horses“-Stadion (ja, es heißt gleich wie das Pub) sogar mit einem Spiel gegen Manchester United. Und im November 2007 war Inter Mailand anlässlich des 150. Geburtstags da. „Da mussten wir aber im Stadion von Sheffield United spielen“, sagt Towning. Die 20.000 Fans hätten nämlich auf dem Dorfplatz niemals Platz gefunden. Sogar der große Pele hat damals vorbeigeschaut und gratuliert.

BVB-Logo in der Heimkabine

Inzwischen läuft das Damenspiel, die Heimischen führen 2:0 und gewinnen am Ende klar mit 4:0. An der Längsseite zeigt Towning jetzt stolz die Tafel mit den Unterstützern des Vereins her. „The world’s first football club“ steht stolz darunter –„Der erste Fußball-Klub der Welt“.
Für 25 Pfund pro Jahr wird der Name dort auf Messingplättchen geschrieben. Joseph Blatter führt die Liste an, Sir Bobby Charlton steht drauf auch ein paar lokale Größen. Neben ManU-Legende Eric Cantona wäre noch ein Platz frei. „Ich kann Ihnen gerne ein Formular und die Bankverbindung für eine Mitgliedschaft schicken“, sagt Towning.

Er ist bemüht, seinen Verein zu vermarkten und trotzdem als ehrlichen Klub zu erhalten, dem es nicht ums Geld geht. Eine Vermarkterfirma aus Dortmund hilft dabei. Auch deswegen haben sie in der Heimkabine das BVB-Logo aufgemalt. Zwischen Containerdorf und Stadionzaun haben Towning und Co. auch einen winzigen Fanshop gezwängt. Durch die Scheiben erkennt man Dressen, Schals, Häferln und Handyhüllen. Kaufen? Schwer. Denn während eine Autostunde entfernt, im „Old Trafford“-Stadion von Manchester, auch am Sonntag alle zehn Minuten eine Führung durch die Arena beginnt, ist der Sheffield-Shop just an einem Spieltag geschlossen. „Ich habe leider keinen Schlüssel dabei“, sagt Towning. „Aber vielleicht finde ich ihn noch.“

150 Zuseher

Dafür ist das Heftchen zum aktuellen Spiel aller Ehren wert. 40 kleinformatige Seiten stark, mit statistischen Feinheiten, einer ausführlichen Vorstellung des aktuellen Gegners, einem Gewinnspiel und einem Leitartikel von Trainer Jordan Broadbent. Der Vergleich beweist: Auch an der Anfield Road beim FC Liverpool ist das nicht wesentlich besser. Ein großer Aufwand für 150 Zuschauer, die sich durchschnittlich im „Coach and Horses“ verlieren.
In manchen Dingen ist der FC Sheffield also schon weiter oben als in der 7. Leistungsstufe. Auch sportlich soll es das nicht gewesen sein, so weit unten, weit unter der Wahrnehmungsgrenze der Öffentlichkeit. Denn die Vereinsverantwortlichen haben durchaus Ziele. „Zwei Ligen höher, das wäre toll“, sagt Towning. Er dreht das schummrige Flutlicht ab und macht sich auf ins Pub. „Aber das Wichtigste“, sagt er am hölzernen Einfahrtsgatter zum Stadion noch, „das Wichtigste ist, dass der Fußball endlich zu Hause ist.“

KLAUS MOLIDOR