Der berühmteste Eingeborene hatte wohl nichts dagegen, dass seine Heimatgemeinde 2009 einer Fusion zum Opfer fiel. Das Oberwalliser Dorf Ulrichen ging mit zwei Nachbarorten in Obergoms auf, aber die Zusammenlegung kann nicht bedauert werden von jenem Mann, der nach höchst eigener Vorstellung die Welt zusammenhält, weil er ihr weismachen will, sie sei ein Ball. Und dieser platzt nur deshalb nicht aus allen Nähten, weil er, Joseph Blatter, über die globale Fußballfamilie wacht, wie es kein Zweiter könnte. So stellt sich das Imperium aus dem Blickwinkel des Imperators dar.

Ulrichen zählt knapp 200 Seelen, Blatters Reich umfasst 209 Verbände. Und nichts könne die Völker so verbinden wie der Fußball, das liege in seinem Wesen. Das Selbstverständnis für sein Amt resultiert aus diesem Leitsatz. Wenn er einmal nicht mehr Präsident sein sollte, dann drohe der Zerfall. Also lässt er sich so lange wählen, bis der Abpfiff erfolgt. Der Name des Referees: Sepp Blatter. Den Zeitpunkt kennt nur der oberste Schiedsrichter, der liebe Gott, mit dem Blatter eigenen Angaben zufolge regelmäßig Zwiesprache hält.

Angriffe

Dieser Doppelpass mit der höchsten Instanz sowie die persönliche Bekanntschaft mit Papst Franziskus sorgen für innere Stärke beim Mann aus Ulrichen, über dessen Bewohner ein Pfarrer einmal sagte, sie seien "schlauer als der Teufel". Diese mächtige Eigenschaft macht sich Blatter stets zunutze, wenn es gilt, schwerste Vorwürfe und Angriffe zu überstehen. Die seit den Anfängen niederprasselnden Attacken lassen längst auf existenzgefährdende Haarrisse im System FIFA schließen, nur Blatters Weltbild scheint nicht zu bröckeln. Spätestens seit der ersten umstrittenen Wahl 1998 wird der Schweizer mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, doch während etliche FIFA-Köpfe rollten, blieb der Chef selbst unantastbar. Damals war behauptet worden, Blatter habe aufgrund eines plötzlichen massiven Meinungsumschwungs unter den Delegierten die Stimmen gekauft. Er selbst jedoch sei in jenem Hotel, wo dies geschehen sein soll, gar nicht anwesend gewesen. "Aber das kriegst du nie mehr weg", erklärte der Präsident jüngst in einem Interview.

Kein Wahlkampf

Der Wahlkampf geht dem Ende entgegen, aber gemäß der FIFA-Sprachregelung hat der Boss einen solchen gar nicht mehr nötig. Blatter beschränkt sich vor seiner fünften Amtszeit auf die Pflichttermine, reist zu den kontinentalen Kongressen, wo ihm für gewöhnlich kollektive Unterstützung zugesagt wird, wie in Asien, Südamerika und, ganz besonders, in Afrika. Die Zuerkennung der Weltmeisterschaft 2010 an Südafrika wird ihm von den Vertretern der nationalen Verbände des sonst so geprügelten Kontinents so hoch angerechnet, dass sie ihn wohl zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen würden. Dies hat Blatter aber auch ohne deren Zutun schon beinahe geschafft, denn an seiner neuerlichen Wiederwahl bestehen längst keine Zweifel mehr. Die Gegenkandidaten haben sich zurückgezogen, zuletzt auch der ehemalige Weltfußballer Luis Figo. Nur der Jordanier Ali bin al-Hussein, ein Sohn des früheren Königs, ist übrig geblieben.

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Keine Konsequenzen

Die Widersacher Blatters sitzen in Europa und sie können viele Argumente gegen den Schweizer ins Rennen schicken. Die dubiose Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Katar bzw. Russland ließ eine Woge der Empörung über die FIFA hinwegschwappen, doch an Blatter persönlich perlte alles ab, wiewohl er gerne erklärt, etwa mit Russlands Machthaber Wladimir Putin ein "sehr gutes Verhältnis" zu pflegen.

Dem Vorwurf, die Turniere seien gekauft worden, fehlt jedoch die strikte Beweisführung. Der Untersuchungsbericht zu den Vorgängen rund um die Vergabe der Titelkämpfe hatte daher bisher keine Konsequenzen. Nach dem Rücktritt des Chefermittlers Michael Garcia kündigte Blatter noch im vergangenen Dezember die Veröffentlichung des Reports an, doch die lässt nach wie vor auf sich warten. Die Verzögerung wird von der FIFA-Zentrale in Zürich aus mit den zahlreichen noch laufenden Verfahren begründet. Im Herbst, so der vage Hinweis, könnte es so weit sein. Blatter ist dann längst bestätigt. Sein unerbittliches Festhalten am hohen Amt trotz des fortgeschrittenen Alters begründet der Schweizer zum einen mit der breiten Unterstützung der Verbände außerhalb Europas, zum anderen mit der Sorge um die Zerstörung seines Lebenswerks, wie er es wohl betrachtet. Blatter erklärt beständig, gegen die Übermacht der UEFA aufzutreten, und punktet damit. Tatsächlich hat die FIFA in seiner Regentschaft mehr als zwei Milliarden Dollar in Entwicklungsmaßnahmen gepumpt, vor allem in der südlichen Hemisphäre. Der soziale Aspekt wird von Blatter selbst stets hervorgehoben. Dazu kommt der Verweis auf die demokratische Grundausrichtung, denn jede Stimme zählt gleich, egal, ob sie aus Deutschland oder Vanuatu kommt. Also geht Blatter zum Gegenangriff über und wirft der UEFA unter Michel Platini vor, die Übermacht anzustreben. Zudem wolle er selbst noch darüber wachen, wie der FIFA-Sumpf trockengelegt wird. Der sei gar nicht so tief, erklärt Blatter.

HUBERT GIGLER