Nach den brutalen Krawallen am Rande des EM-Spiels Russland gegen England in Marseille sind drei russische Hooligans zu Gefängnisstrafen zwischen einem und zwei Jahren verurteilt worden. Die drei Männer wurden am Donnerstag in der südfranzösischen Hafenstadt in Schnellverfahren schuldig gesprochen, regelrecht Jagd auf englische Fans gemacht zu haben.

Zusätzlich zu den Haftstrafen von zwölf, 18 und 24 Monaten wurde ein zweijähriges Einreiseverbot gegen die drei Russen verhängt. Die Verurteilten sind zwischen 28 und 33 Jahre alt.

Bei den blutigen Auseinandersetzungen zwischen englischen und russischen Fans waren am Samstag in Marseille 35 Menschen verletzt worden, einige davon schwer. Die Gewalt ging offenbar vor allem von organisierten russischen Hooligans aus. Ein englischer Fan erlitt lebensgefährliche Verletzungen, als er offenbar mit einer Metallstange am Kopf getroffen wurde. Die Bilder von der Gewalt hatten für Entsetzen gesorgt und den Auftakt der Fußball-EM überschattet.

Videoaufnahmen der Gewalt wurden am Donnerstag auch bei dem Prozess in Marseille gezeigt. "Das ist eine Jagd", beschrieb Vize-Staatsanwalt Andre Ribes die Szenen. "Sie (die russischen Hooligans) beginnen zu rennen, bleiben dabei in ihrer Gruppe und bewahren genügend Energie für das, was sie den 'Fight' nennen. Sobald ein Engländer alleine ist, schlagen sie ihn."

Nach den Randalen hatte die französische Polizei zunächst keinen der russischen Hooligans festnehmen können. Am Dienstag wurden aber 43 Russen in einem Bus auf dem Weg zu einem Russland-Spiel in der nordfranzösischen Stadt Lille gestoppt und festgenommen.

Drei von ihnen wurden nun verurteilt. 20 weitere, unter ihnen der Chef der Vereinigung russischer Fußballfans, der Nationalist Alexander Schprygin, sollen am Montag des Landes verwiesen werden. Die 20 anderen Russen kamen auf freien Fuß.

Die Festnahme der 43 Russen hatte zu diplomatischen Spannungen zwischen Russland und Frankreich geführt: Der russische Außenminister Sergej Lawrow kritisierte das Vorgehen als "absolut inakzeptabel". Das Außenministerium in Moskau bestellte den französischen Botschafter ein.

Aussage von Russland

Russland will im Vorfeld der Heim-Weltmeisterschaft 2018 heimische und ausländische Hooligans auf eine schwarze Liste setzen. Dies gab der stellvertretende Ministerpräsident Arkadi Dworkowitsch laut Angaben der Agentur Tass am Donnerstag bekannt.

"Jene, die das Gesetz brechen, müssen daran gehindert werden, unser Land zu betreten und die Spiele zu besuchen", sagte Dworkowitsch. Das gelte sowohl für die eigenen als auch ausländische Anhänger.

Fußball-EM im Würgegriff der Gewalt

Die Nacht blieb ruhig in Lille. Nach den Ausschreitungen am Mittwochabend kam die Stadt für einige Stunden zum Durchatmen. Die EM-Karawane zog indes weiter nach Lens, wo am Donnerstagnachmittag das britische Bruder-Duell zwischen England und Wales für höchste Alarmbereitschaft bei den Sicherheitsbehörden sorgte.

"Die Devise lautet, das Terrain zu besetzen. Wir werden alles tun, damit es ein Fest bleibt", versprach Präfektin Fabienne Buccio am Mittwochvormittag mit Blick auf die Bilder von Tränengasschwaden, prügelnden Polizisten und blutenden Fans in der Innenstadt von Lille. Sie belegen die Null-Toleranz-Strategie der französischen Beamten, die mit harter Hand gegen Ruhestörer vorgehen.

Als nach Ende des Spiels Russland gegen Slowakei (1:2) zahlreiche Fans beider Teams in die Altstadt strömten, kam es plötzlich zu Jagdszenen. Hunderte Briten stürmten durch die Straßen - offenbar, um sich mit verfeindeten Anhängern aus Russland zu schlagen. Nach den Vorkommnissen in Marseille, wo russische Anhänger im Stade Velodrome nach dem Abpfiff den englischen Fanblock gestürmt hatten, waren Hooligans von der Insel offenbar auf Rache aus. "Fuck off Russia" skandierten englische Anhänger in Lille. Die Szenen wiederholten sich bis Mitternacht mehrfach. Immer wieder ging die Polizei dazwischen - meist mit Gewalt.

Tränengas kam zum Einsatz

Es waren jedoch nicht nur stark alkoholisierte Engländer, die für Krawalle sorgten. Auch einige französische Anhänger benahmen sich am späten Mittwochabend daneben, warfen Steine und Flaschen auf die Polizisten, die sich nicht nur mit Tränengas zur Wehr setzten. Auch Schlagstöcke und Hunde kamen zum Einsatz.

Die traurige Bilanz des sechsten EM-Tages: Insgesamt 36 Fans wurden festgenommen, darunter auch sechs Russen, die schon an den Krawallen am vergangenen Samstag in Marseille beteiligt waren, und 50 Verletzte, von denen 16 in Krankenhäusern stationär behandelt werden mussten.

In Lens sollten 1.400 Polizisten beim "Battle of Britain" für Ruhe sorgen. Für die Nacht vor dem Spiel zog die Präfektin eine positive Zwischenbilanz: "Alles ist gut verlaufen." Acht Franzosen und ein Brite seien festgenommen worden, in erster Linie wegen Trunkenheit. Etwa 20 britische Beamte unterstützten die Franzosen am Donnerstag vor Ort.

UEFA nicht zuständig

Die UEFA musste entscheiden, ob die Vorkommnisse am Mittwochabend als so gravierend eingestuft werden, dass das Exekutivkomitee oder das Dringlichkeitskomitee zusammenkommt und über Maßnahmen entscheidet. Dies war am Sonntag nach den Krawallen in Marseille mit russischen und englischen Fans geschehen.

Die Disziplinarkommission der UEFA ist für die Ereignisse in Lille nicht zuständig, da sie sich nicht im EM-Stadion, sondern in der Stadt abspielten. Das Gremium hatte am Dienstag Russland wegen der Fangewalt im Stade Velodrome von Marseille nur auf Bewährung im Turnier belassen und bei weiteren Krawallen in einer Arena den EM-Rauswurf angedroht.