Die Welt steht und fällt mit den Russen. So eine These ist gewagt. Für Eishockey-Turniere auf russischem Boden sollte sie aber halten. Denn die „Sbornaja“ versucht ab heute, vor Heimpublikum bei der WM in Moskau und St. Petersburg ein Kapitel zu schließen. 30 Jahre lang schaffte es die stolze Nation nicht mehr, einen Titelgewinn in der Heimat zu erringen. Zuletzt scheiterte sie bei den Olympischen Spielen von Sotschi 2014. Als sich Superstar Alexander Owetschkin & Co. sang- und klanglos (1:3 gegen Finnland) im Viertelfinale verabschiedet hatten, taten es ihnen die Zuschauer gleich. Die Ränge ähnelten nach diesem Schockerlebnis dem luftig-lückenhaften Gebiss eines Eishockey-Profis.

Vollzählig reisen jedoch die 16 besten Nationen nicht nach Moskau bzw. St. Petersburg. Noch immer steckt die NHL in ihrer entscheidenden Phase um den Stanley-Cup-Pokal. In den Kaderlisten von Kanada, USA, Schweden oder Finnland fehlt daher die Creme de la Creme. Stattdessen bieten sie ihren Zukunftshoffnungen (siehe Infobox) eine Chance, sich vor dem anstehenden NHL-Draft auf internationaler Bühne zu präsentieren

USA mit U24-Truppe

Die US-Amerikaner stellen mit 23,08 Jahren das jüngste Team in Russland, gefolgt von den Ahornblättern. Zum Vergleich: Österreich sprach mit 25,68 Jahren bei der B-WM in Polen über Verjüngung. Mit diesen Maßnahmen steigt auch die Spannung. Im Gegensatz zum Vorjahr, als Kanada mit hochkarätigem Ensemble die Goldmedaille nur abzuholen brauchte. Edel-Außenseiter Schweiz wittert bereits eine Chance, den Silber-Coup von 2013 zu wiederholen. Das reicht aus Sicht der „Sbornaja“ nicht.

In Russland zählt eben nur Gold. Auch im Eishockey. Die einstige Dominanz ist zwar Geschichte, doch seit 2008 konnten immerhin vier WM-Titel erobert werden. Personell gesehen sticht bei den Gastgebern Pawel Datsyuk hervor. Je nach Verlauf des NHL-Duells zwischen Owetschkin und Jewgeni Malkin, könnte einer der beiden nachrücken.

Russische Disziplinlosigkeiten

Obwohl mit hoher Erwartungshaltung behaftet, verlief die russische Vorbereitung aber nicht reibungslos. Stürmer Alexander Radulow flog in die USA, um über ein NHL-Engangement zu verhandeln. Ilja Kowaltschuk wurde suspendiert, nachdem er gegen seinen Klub gewettert hatte. Auch wenn die „Sbornaja“-Legende Slawa Bykow gegenüber einer Schweizer Zeitung gemeint hatte, dass die Zeit der Trainerdiktatoren vorbei wäre: Disziplinlosigkeiten haben die Russen schon oft einen Titel gekostet. Dieses Mal sollten sie sich das verkneifen. Auch, um eine WM-würdige Stimmung zu erhalten.

Die Jungstars

Matthews hat NHL-Feinschliff in Europa geholt
Unter schärfster Beobachtung steht mit Hinblick auf den NHL-Draft (Klubs sichern sich die Rechte an jungen Spielern) wohl der 18-jährige Auston Matthews. Der mexikanisch-amerikanische Doppelstaatsbürger ist einer von vier U20-Spielern im Team USA. Matthews wählte nach behördlichen Hürden den Weg über die Schweiz (Erstligist ZSC Lions), um für die NHL gerüstet zu sein. Der Center brachte es auf 49 Scorerpunkten in 40 NLA-Partien und wird kommende Saison wohl bei den Toronto Maple Leafs landen. Mitten im Fokus der NHL-Klubs wird auch der Finne Patrik Laine stehen. Der 18-jährige Stürmer avancierte zum wertvollsten Spieler im finnischen Play-off bei Meister Tappara. Weitere Talente in Russland: Leon Draisaitl, Connor McDavid, Max Domi, Nikolaj Ehlers, Dylan Larkin, Kyle Connor und Sebastian Aho.

MARTIN QUENDLER