Die Regale der Buchhandlungen quellen über, Zeitungen und TV-Stationen überbieten einander mit Beiträgen über die fast vergessene Urkatastrophe, den Ersten Weltkrieg. Was blieb da für Journalisten noch zu tun, zu forschen, zu schreiben, wie wäre der Blick zu schärfen auf das folgenschwere Geschehen?

Die Redaktion der Kleinen Zeitung entschied sich für die klassische Form der Reportage. Fünf Kollegen packten ihre Koffer und fuhren an Orte, die bis heute vom Krieg gezeichnet sind oder deren Namen Erinnerungen an ihn wachrufen. Sie suchten nach Spuren der Verheerungen, nach den Wunden in den Menschen, nach Relikten, die bis heute vom Krieg zeugen. Wo sollte diese Reise beginnen, wenn nicht in Sarajevo? Dort, wo die Schüsse auf den Thronfolger den Vorwand für das große Gemetzel boten, bluten heute andere Wunden. Sprechen die Menschen in der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas vom Krieg, meinen sie den jüngsten. So beginnt das Buch denn mit der Reportage von Hubert Patterer über die Folgen eines Schlachtens, das noch ein fernes Echo des Zerfalls zweier Großreiche war, des Osmanischen und des habsburgischen. Die Reisen führten an die Peripherie der Monarchie und darüber hinaus, überall dorthin, wo Soldaten Österreich-Ungarns kämpften und fielen. Wir fanden Sammler von Kriegsrelikten und Historiker, die nach Jahren der Tabuisierung endlich von den Traumata reden dürfen. Wir sprachen mit Käuzen, für die Zeit keine Kategorie zu sein scheint, und mit Denkern, die dem Echo des Kriegslärms bis heute nachhorchen.

Ausgewählte Fotografen begleiteten die Autoren und illustrierten die Spurensuche. Das Album, mit dem sie heimkamen, wurde durch Material aus dem Archiv ergänzt: Bilder aus den Schützengräben von Verdun, vom Sterben in den Alpen, von der Unterzeichnung des für das einstige Riesenreich demütigenden Vertrags von St.-Germain, der Österreich auf jenes kleine Alpenland reduzierte, das es heute ist. So schließt sich der Bilderbogen mit dem Bild von Karl Renner, der nach der Unterzeichnung des oktroyierten Friedensvertrags aufrechten Gangs das Schloss vor Paris verlässt. Was mit den Schüssen vor der Lateinerbrücke in Sarajevo begann, fand hier sein Ende.

Vorläufig, wie sich zwanzig Jahre später weisen sollte.

Sarajevo
In Sarajevo, wo der Weltenbrand vor hundert Jahren seinen Ausgang nahm, ist der "Große Krieg" heute nur mehr ein ferner Schimmer. Die Erinnerung wird überlagert vom jungen Krieg in den Neunzigern, dessen Wunden nicht heilen. Die Menschen sehnen sich nach Europa und fühlen sich alleingelassen. Eine bleierne Erwartungslosigkeit liegt über der schönen Stadt. Wir erkundeten sie. Der bosnische Dichter Dzevad Karahasan begleitete uns.

Sarajevo
Bei Svejk in Przemysl
Julian Smuk ist Svejk. In den späten Neunzigerjahren hat der Pole aus Przemysl seine Passion für die Romanfigur Jaroslav Haseks entdeckt. Er schaffte sich eine Uniform an nebst allem Zubehör des braven k. u. k. Soldaten. Mit den Jahren ist Smuk verwachsen mit der Figur, er denkt, handelt und redet wie Svejk. Gegen Geld tritt er bei Hochzeiten auf, führt Touristen durch die Festungsanlagen oder in "sein" Restaurant "Melde Gehorsamst". Dort trafen wir das Original.

Przemysl, die Festung
Was Stalingrad für die Sowjetunion, war die Festung Przemysl für die Habsburgermonarchie. Das Bollwerk durfte nicht fallen, zu groß wäre der Prestigeverlust gewesen. Heute sind von den 15 ringförmig um die südostpolnische Stadt angelegten Bollwerken noch imposante Ruinen übrig, gut getarnt unter wucherndem Gesträuch. Erst jetzt, hundert Jahre nach dem Krieg, entdeckt die Stadt das touristische Potenzial der Wehranlage, die zu Kriegsbeginn schon veraltet war.

Drohobytsch
Drohobytsch ist eine kleine Stadt in der Westukraine. Die Brüder Jaroslaw und Wassyl Lopuschanskyj lehren hier Germanistik. Vor zwei Jahren erfuhren sie, dass ihr Großvater 1914 nach Graz verschleppt und im Lager Thalerhof mit Hunderten anderen Ukrainern einer Epidemie zum Opfer gefallen war. Russenfreundlichkeit lautete der Vorwurf der Österreicher, das genügte für die Verschleppung im Viehwaggon. Warum ausgerechnet Graz? "Weil es weit weg von der Front und Galizien war." Nun suchen die Lopuschanskyjs Familien, denen Ähnliches widerfuhr.

Verdun
Jean-Pierre Laparra ist kein gewöhnlicher Bürgermeister. Fleury-devant-Douaumont besteht aus zwei Ortstafeln und einer Kapelle, hat aber keine Einwohner. Auch Häuser, Gassen, Plätze, ein Rathaus sucht man vergeblich. Fleury wurde während der Schlacht von Verdun dem Erdboden gleichgemacht. Im Zuge des Lokalaugenscheins enthüllte Laparra beiläufig, dass unweit der Schlachtfelder auch Österreicher beerdigt sind - allerdings als deutsche Gefallene geführt werden. Das rief einen österreichischen Diplomaten auf den Plan.

Gallipoli
Die türkische Halbinsel Gallipoli wurde zum Massengrab für Hunderttausende Soldaten. Das untergehende Osmanische Reich schlug hier seine letzte siegreiche Schlacht gegen die Westmächte. Gallipoli ist auch Geburtsort zweier Nationen. Die Australier, die hier kämpften, litten und starben, entwickelten eine Art nationales Zusammengehörigkeitsgefühl. Und der Stern von Mustafa Kemal Atatürk begann auf der Halbinsel aufzugehen. Zahlreiche Denkmäler erinnern in Gallipoli an den Kriegshelden.

Ypern
Unglaubliches ereignete sich am Christtag 1914 unweit von Ypern. Hinter dem Kreuz verlief die Front zwischen Deutschen und Briten. Statt weiter aufeinander zu schießen, warfen die Soldaten die Gewehre zur Seite, krochen aus ihren Schützengräben und spielten dann sogar mit einem Fetzenlaberl, das im Museum zu Ypern zu besichtigen ist, eine Runde Fußball. Zum Gedenken an dieses beklemmende Ereignis haben Touristen aus aller Welt ihre Fußball-Fanartikel zurückgelassen.