Alexander Van der Bellen wird neues Staatsoberhaupt. Die Österreicher entschieden sich in der Stichwahl um das Präsidentenamt mit der knappen Mehrheit von 50,3 Prozent für den langjährigen Grünen-Chef. Der 72-Jährige versicherte in seiner ersten Stellungnahme, das Gemeinsame vor das Trennende stellen zu wollen.

Van der Bellen richtete seine erste Rede als designierter Bundespräsident, die er im Garten des Wiener Palais Schönburg abgab, betont versöhnlich aus. Das knappe Ergebnis sei ein Symbol für die zwei Hälften, die Österreich ausmachten: "Gemeinsam ergeben wir dieses schöne Österreich." Regierung und Parlament versicherte Van der Bellen, ein konstruktiver Partner sein zu wollen. Er wurde bei seinem Eintreffen beim Palais und auch nach der Rede von Unterstützern bejubelt. Am Rednerpult gab er sich bereits ganz staatstragend. Er begrüßte die "lieben Österreicherinnen und Österreicher" und entbot den ausländischen Gästen "a warm welcome".

In seiner Rede ging er auf die oft genannten Gräben ein, die in Österreich angesichts der Präsidentschaftswahl aufgebrochen seien. Er wolle nicht, dass diese dramatisiert würden. Teils hätten sie schon länger bestanden, vielleicht habe man nur nicht genau hingesehen. Zuletzt sei aber auch viel mehr miteinander geredet worden im Lande. Das Augenmerk sollte daher weniger der Polarisierung, sondern eher der Politisierung gelten. "Das ist doch gut, das ist ein schönes Zeichen."

Angesichts von Trennungslinien wollte der gewählte Bundespräsident eher einen Gleichstand sehen. "Die eine Hälfte ist so wichtig wie die andere", meinte er, "und gemeinsam ergeben wir dieses schöne Österreich."

Nun warte viel Arbeit auf ihn. Viele Menschen fühlten sich offensichtlich zu wenig gesehen und gehört. Man werde eine andere Kultur, eine andere Gesprächskultur brauchen, und eine Politik, die sich nicht mit sich selbst, sondern mit realen Fragen, auch dem Zorn in diesem Land, auseinandersetzt.

Den ganzen Wahlkampf lang habe er versucht, für das Gemeinsame zu werben, so Van der Bellen. "Mein Ziel ist es, ein konstruktives Gegenüber zu sein", gegenüber der Bundesregierung und dem österreichischen Parlament. Er wolle eine neue Kultur und Arbeitsweise prägen, damit die Menschen nach sechs Jahren sagen könnten, dass sich etwas für sie zum Positiven verändert habe. Bereits ab heute werde er seine Mitgliedschaft bei den Grünen ruhend stellen, sagte er.

"Ich werde selbstverständlich ein überparteilicher Bundespräsident sein für alle Österreicher, für alle Menschen im Land." Er werde ausschließlich nach bestem Wissen und Gewissen handeln "und das Wohl Österreichs als höchste Handlungsmaxime betrachten".

Fulminante Aufholjagd

Van der Bellen, der im Wahlkampf auch Unterstützung von SPÖ, NEOS und ehemaligen ÖVP-Granden erhalten hatte, schloss am Montag eine fulminante Aufholjagd erfolgreich ab. Knapp 14 Prozentpunkte hatte er nach dem ersten Wahlgang Rückstand auf seinen freiheitlichen Kontrahenten Norbert Hofer, mit Hilfe der Briefwähler gelang das Projekt.

Denn bei ihnen erreichte Van der Bellen fast 62 Prozent, womit er sich mit dem knappstem Wahlsieg der Zweiten Republik das höchste Amt im Staat sicherte. 31.026 Stimmen trennten die beiden Kontrahenten. Der Grüne erzielte letztendlich in allen Landeshauptstädten die Mehrheit. Schwacher Trost für Hofer ist, dass er mit Niederösterreich, der Steiermark, Kärnten, dem Burgenland und Salzburg die Mehrheit der Bundesländer hinter sich brachte.

Der Freiheitliche, der noch am Wahlabend einen deutlichen Vorsprung auf Van der Bellen aufgewiesen hatte, zeigte sich in einer ersten schriftlichen Reaktion "traurig". Der Einsatz für den Wahlkampf sei aber "nicht verloren sondern eine Investition in die Zukunft". FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache glaubt, dass die FPÖ trotz der heutigen Niederlage bereits eine Wende in der österreichischen Politik eingeleitet habe. Ob man es mit einer Anfechtung der Wahl versucht, entscheiden die Freiheitlichen am Dienstag in einem Vorstand.

"Es ist ein guter Tag für Österreich", sagte Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig über den Erfolg ihres vormaligen Förderers, der nunmehr erstes Grünes Staatsoberhaupt des Landes ist. Van der Bellen werde Österreich "in seiner besonnen Art, mit seiner Erfahrung und Zuversicht gut voranbringen". Auch Bundespräsident Heinz Fischer betonte, er traue es seinem Nachfolger "absolut" zu, dass dieser die richtigen Worte finden werde, um gravierende Unstimmigkeiten zuzuschütten.

Erste Besprechung mit Heinz Fischer

Eine erste Besprechung mit seinem Nachfolger hat Fischer bereits für morgen angesetzt. Mittwoch ist dann Hofer, dem er ebenfalls Respekt zollte, in die Hofburg geladen.

Froh ist man auch im Bundeskanzleramt über das neue Staatsoberhaupt. Regierungschef Christian Kern (SPÖ), der seine Stimme für Van der Bellen öffentlich gemacht hatte, betonte, dass die Regierung in ihm einen Partner wisse, der pro-europäisch und weltoffen sei sowie für eine Politik stehe, die Chancen in der Vordergrund stelle und nicht die Ängste bediene. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hob besonders die Funktion des Präsidenten als "Türöffner für die Wirtschaft" hervor, wo er keine Probleme mit dem neuen Staatsoberhaupt erwartet. Freudig auf den neuen Präsidenten wartet auch NEOS-Obmann Matthias Strolz, während das Team Stronach enttäuscht vom Ausgang war.

Aufatmen in Europa

International waren die Reaktionen praktisch durchgehend positiv. Es gehe ein "Seufzer der Erleichterung" durch Europa, sagte Italiens Außenminister Paolo Gentiloni. Der französische Premier Manuel Valls freute sich, "dass die Österreicher den Populismus und den Extremismus zurückgewiesen haben". "Es ist ein guter Tag für Österreich und ein guter Tag für Europa, dass sich der Kandidat der rechten FPÖ nicht hat durchsetzen können", sagte die Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, der Nachrichtenagentur Reuters. Als "gut und wichtig für Europa" bezeichnete auch der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka den Wahlsieg.

Glückwunschbekundungen für den künftigen Bundespräsidenten kamen von den Präsidenten Frankreichs (Francois Hollande), Deutschlands (Joachim Gauck), Italiens (Sergio Mattarella) und Litauens (Dalia Grybauskaite). Gauck würdigte seinen künftigen Amtskollegen als "überzeugten Europäer" und lud ihn zu einem Besuch nach Berlin ein. Mattarella rief seinen künftigen Amtskollegen auf, gemeinsam für eine Stärkung der EU zu arbeiten.

Sorge um erstarkende Rechtspopulisten

In die Freude über den Wahlsieg Van der Bellens mischte sich auch Sorge wegen des starken Abschneidens des rechtspopulistischen EU-Kritikers Hofer. "Jeder in Europa sollte seine Lehren daraus ziehen", betonte Valls. Der italienische Innenminister Angelino Alfano sprach von einem Zeichen, dass Europa "als Problem betrachtet wird". Der slowenische Außenminister Karl Erjavec sagte, Hofers Erfolg sei "ein Misstrauensvotum gegen die etablierten Parteien". Wenn Europa Probleme wie Migration oder Terrorismus nicht "bald" angehen werde, dürfte die Anziehungskraft radikaler Politik zunehmen. Die europäischen Politiker müssten "eine Bestandsaufnahme machen und handeln", forderte auch der Ministerpräsident von Malta, Joseph Muscat.

Erfreut über den Sieg Van der Bellens zeigten sich die Chefs der beiden großen Parteienfamilien in Europa. "Die Österreicherinnen und Österreicher haben sich für eine konstruktive Mitarbeit in Europa entschieden", twitterte der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, Manfred Weber. Doch müsse man "das Populisten-Ergebnis ernst nehmen und Antworten geben". Webers sozialdemokratisches Pendant Gianni Pittella sprach von einem "Aufatmen, dass die ärgsten Befürchtungen nicht wahr geworden sind durch die Wahl eines rechtsextremen Kandidaten, dessen Parteiideologie direkt auf den Nationalsozialismus zurückgeht".

Als erste gratulierten die deutschen Grünen dem früheren Chef ihrer österreichischen Schwesterpartei. "Wir freuen uns, dass unser Nachbarland mit ihm ein Staatsoberhaupt bekommt, das für ein offenes und pro-europäisches Österreich steht", sagte Parteichef Cem Özdemir. Van der Bellen müsse das Land nun einen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezeichnete den Wahlerfolg Van der Bellens als "wichtiges Signal für die europäische Integration", die ungarischen Grünen (LMP) sprachen von "Hoffnung für Europa".

Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher zeigte sich erfreut, dass mit Van der Bellen "ein Mensch großer Kultur und Erfahrung" in die Hofburg einziehe. Er werde bald nach Wien reisen, um Van der Bellen persönlich zu gratulieren. Zugleich dankte Kompatscher dem scheidenden Präsidenten Heinz Fischer "für all das, was er in diesen Jahren für Südtirol getan hat".

Gratulationen auch an Hofer

Die rechtsextreme französische Front National (FN) gratulierte Hofer zu seiner "historischen Leistung" bei der Bundespräsidentenwahl. Der Vizechef der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD), Jörg Meuthen, sagte, die "große Zustimmung für Hofer macht deutlich, dass immer mehr Menschen Vernunft vor Utopie wählen und sich nicht mehr von Allgemeinplätzen und angeblichen Alternativlosigkeiten beirren lassen". Bedauern über den verpassten "Endsieg" Hofers äußerte die rechtsradikale ungarischen Jobbik-Partei. Sein Erfolg habe gleichwohl "historische Bedeutung" für die nationalen Parteien in Europa.

"Sehr zufrieden" mit dem Sieg Van der Bellens zeigte sich der frühere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Dieser sei aber "vermutlich nur wegen des Kanzlerwechsels" zustande gekommen, sagte der italienische Ex-Premier der Nachrichtenagentur ANSA. Angesichts des knappen Abstandes zwischen den beiden Kandidaten sei das von der Wahl ausgehende Signal "genau so gefährlich" als wenn Hofer gewonnen hätte, fügte Prodi hinzu. Ähnlich äußerte sich der frühere italienische Präsident Giorgio Napolitano. Es sei zwar das "schlimmste Ergebnis" verhindert worden, doch bleibe die Herausforderung bestehen, auf den zunehmenden Erfolg antieuropäischer Parteien zu reagieren.