Spannung vor dem Kräftemessen am kommenden Sonntag in Wien: Es sei sowohl ein "Respektabstand" zwischen SPÖ und FPÖ möglich, aber auch, dass die FPÖ knapp vorne liegt, sagte etwa Meinungsforscher Peter Hajek. Man könne in den Umfragen, die nach der vor zwei Wochen erfolgten Oberösterreich-Wahl durchgeführt wurden, bei der FPÖ einen gewissen "Nachzieh-Effekt" beobachten, meinten Hajek (Public Opinion Strategies) und auch der Polit-Berater Thomas Hofer (H & P Public Affairs).

Die Befragten würden sich an den Wahlsieger "anhängen", daher erfahre die FPÖ als Partei mit den größten Zugewinnen in Oberösterreich nun auch in den Umfragen für Wien Auftrieb. Bis zur oberösterreichischen Landtagswahl sei der Abstand laut Umfragen relativ stabil gewesen, so Hajek. Nach der Wahl habe sich das Bild insofern geändert, dass SPÖ und FPÖ zusammengerückt seien - zumindest in drei der danach veröffentlichten Umfragen für Wien.

Alles ist möglich

Man könne aber nicht beantworten, ob dieser Effekt auch bis zum Wahltag anhält, sagte Hajek. Eine letztes Wochenende im "Kurier" publizierte OGM-Umfrage zeigte dann auch wieder einen Abstand von vier Prozentpunkten zwischen SPÖ und FPÖ. "Und deshalb ist beides möglich, sowohl ein Respektabstand oder auch, dass die FPÖ knapp vorne ist", sagte der Meinungsforscher.

In den Augen des Politologen Thomas Hofer hat sich Wiens
In den Augen des Politologen Thomas Hofer hat sich Wiens "Titelverteidiger" Michael Häupl geschickt positioniert © Jürgen Fuchs

Für taktisch geschickt hält Hofer das Vorgehen der SPÖ, sich in der Flüchtlingsfrage klar gegen die FPÖ zu positionieren. "Es ist völlig klar, dass das Bürgermeister Michael Häupl ganz anders angelegt hat als Burgenlands SP-Landeshauptmann Hans Niessl und Oberösterreichs ÖVP-Landeshautpmann Josef Pühringer." Häupl habe sich klar als "Gegenmodell zur FPÖ, als Anti-Strache" positioniert und sich für taktische Wähler attraktiv gemacht. Damit habe sich der Bürgermeister "für Wähler von Grünen, NEOS und auch dem linkskatholischen ÖVP-Bereich" als wählbar positioniert, so Hofer. "Damit kann er Platz eins möglicherweise drüberretten."

Klare SPÖ-Positionierung

Häupl wisse, dass durch seine klare Positionierung in der Flüchtlingsfrage einige Wähler von der SPÖ in Richtung FPÖ weggehen werden, so der Polit-Berater. Andererseits gebe es in der SPÖ die Erwartung, dass sie dadurch auf der anderen Seite wieder viele Stimmen hereinhole. Hofer meinte, dass das SP-Ergebnis in Wien durch dieses Vorgehen sogar deutlich besser sein könnte als ohne eine derartige Positionierung: "Die Lage der SPÖ ist schlimmer als das Wahlergebnis am Sonntag suggerieren wird."

Ähnlich sieht dies OGM-Chef Wolfgang Bachmayer, wobei er weniger die Positionierung Häupls in der Flüchtlingsfrage als ausschlaggebend ansieht, sondern vielmehr den Wunsch vieler Wähler, die FPÖ als Nummer eins zu verhindern - bzw. deren Chef Heinz-Christian Strache als Bürgermeister. "Wählt mich, um Strache zu verhindern" sei Häupls Ansage gewesen. Die Flüchtlingsfrage hält Bachmayer für weniger ausschlaggebend, weil die Mehrheit hier "sorgenvoll bis kritisch eingestellt" sei, sagte der OGM-Chef. Stimmen kosten wird diese Zuspitzung zwischen Rot und Blau den anderen Parteien, so die Meinung der Experten.

Rot-Grün wackelt

Ob sich eine Neuauflage von Rot-Grün nach der Wien-Wahl ausgehen wird, ist laut Umfragen nicht gesichert. Sollten die bisher in Wien regierende Parteien keine Mandatsmehrheit erringen, dann ist laut OGM-Chef Bachmayer die "einzig denkbare Variante" eine Dreier-Koalition - entweder zwischen SPÖ, Grünen und NEOS oder eine aus SPÖ, ÖVP und NEOS.

Dabei könnte auch die Frage eine Rolle spielen, ob die NEOS den Einzug in den Landtag schaffen oder nicht - denn sollten die Pinken scheitern, dann wäre es für die SPÖ aus wahlarithmetischen Gründen leichter, gemeinsam mit den Grünen die Mandatsmehrheit zu erreichen.

Geht man von der jüngsten OGM-Umfrage aus, hätte Rot-Grün aber ohnehin eine knappe Mandatsmehrheit, auch wenn die NEOS die Fünfprozenthürde nehmen. Letzteres scheint sich übrigens laut den Umfragen - wenn auch knapp - auszugehen.

Folgen für Faymann & Co.

Sollte die SPÖ - wie in der von Bachmayer erstellten Umfrage prognostiziert - mit drei bis vier Prozentpunkten vor der FPÖ landen, dann trete laut dem OGM-Chef der "kuriose Fall" ein, dass das innerhalb der Sozialdemokratie (trotz massiver Verluste gegenüber der letzten Wiener Wahl) "schon fast als Erfolg empfunden" würde. Dies hätte auf der Bundesebene eine Stärkung von SP-Chef Werner Faymann zur Folge, dieser würde dann gegenüber der ÖVP "seine Positionen fester behaupten" können.

Im Falle von noch stärkeren Verlusten für die SPÖ hingegen - etwa auf 34 oder 35 Prozent - werde Bürgermeister Häupl "wahrscheinlich nicht mehr die Kraft haben, seinen Abgangstermin in Ruhe vorzubereiten, dann wird das schneller gehen, aber dennoch erst im nächsten Jahr". Auch Hofer glaubt, dass Häupl unabhängig vom Wahlergebnis nicht gleich den Hut nehmen würde - eine geordnete Übergabe hält er für das wahrscheinlichste Szenario.

Keine Neuwahlen

An Neuwahlen im Bund glauben die Meinungsforscher nicht, auch nicht bei einem desaströsen Ergebnis für SPÖ oder ÖVP. "Der Zaubertrank gegen Neuwahlen ist die starke FPÖ", so Bachmayer. Auch glaubt er, dass die SPÖ - sofern die Wahl für sie unangenehm ausgehen sollte - versuchen würde, das Thema rasch vom Tisch zu bekommen: Nach der Wien-Wahl würde man dazu sehr rasch die Diskussion um die Bundespräsidentschaftswahl antreiben.

Eine - rein rechnerisch mögliche - Koalition zwischen Rot und Blau, etwa nach einem Abgang Häupls von der Wiener SPÖ-Spitze, halten die Experten für nahezu ausgeschlossen. Spannend werden könnte die Koalitionsfrage für Hajek nur im sehr unwahrscheinlichen Fall, dass sich eine blau-schwarze Zusammenarbeit ausgeht - eine Konstellation, die der Meinungsforscher aber für äußerst unrealistisch hält, droht der ÖVP doch ein weiteres Abrutschen, möglicherweise sogar in den einstelligen Bereich.

Rot-Blau unwahrscheinlich

Ähnlich sieht das Hofer: "Dass es wirklich eine rot-blaue oder blau gestützte Minderheitsregierung geben könnte, das wird diskutiert werden, je nachdem wie grimmig das Wahlergebnis ist", meinte er. Aber dieses Szenario sei nur dann eine Option, wenn ernsthaft eine Konstellation diskutiert wird, in der die SPÖ nicht mehr die Führungsposition innehätte. Und dies wäre eben nur dann möglich, wenn eine Zusammenarbeit von FPÖ und ÖVP rechnerisch möglich wäre - oder etwa eine Koalition zwischen FPÖ, ÖVP und NEOS ohne Strache. "Ich glaube das aber nicht", dieses Szenario sei "sehr, sehr unwahrscheinlich", betonte Hofer.