Die bereitgestellten Feldbetten in einem leer stehenden Gebäude der Bundesbahnen nahm die Dienstagabend angekommene Familie nicht in Anspruch, sie schaffte den Umstieg in einen anderen Zug. Insgesamt trafen drei Züge aus Budapest Keleti zwischen 18.12 und 21.12 Uhr am Wiener Westbahnhof ein, hunderte freiwillige Helfer hatten sich dafür schon am frühen Abend auf den Bahnsteigen eingefunden. Diese waren gesäumt von unzähligen Einkaufswägen voller Wasserflaschen, Lebensmittel und Hygieneartikeln. Das eingerichtete Sachspendenlager der Caritas war bald gefüllt, sodass keine weiteren Spenden angenommen werden konnten.

"Es ist unglaublich wie viele Menschen helfen. Sie zeigen, wie groß die Solidarität ist und dass es eine Schubumkehr gibt: Hier wird bewiesen, dass rasche und unbürokratische Hilfe funktionieren kann", beschrieb Caritas Generalsekretär Klaus Schwertner den "Ort der Menschlichkeit". Auch prominente Freiwillige wie etwa Kardinal Christoph Schönborn, Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen, und NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger fanden sich am Westbahnhof ein.

Die Passanten boten ihre Hilfe aber nicht nur durch Sachspenden, sondern auch durch die Überwindung sprachlicher Hürden an: "Arabisch", "Türkisch", "Kurdisch", "Persisch", "Somalisch" und "Englisch" prangte auf Zetteln an der Kleidung vieler Personen. So auch bei Ramy, der seine Hilfe auf Arabisch anbot. "Ich finde es sehr traurig, wie man in Ungarn mit den Flüchtlingen umgeht. Am Montagabend war es aber sehr emotional. Die Menschen sind aus den Zügen gestiegen und als wir geklatscht und sie willkommen geheißen haben, haben sie geweint", erzählte er.

Auch für die Helfer des extra eingerichteten Sanitätsdienstes der "4 für Wien" (Arbeiter Samariterbund, Johanniter, Malteser und Österreichisches Rotes Kreuz) verlief der Abend laut Angaben des Samariterbundes sehr ruhig.

Die Polizei hielt sich am Westbahnhof weiterhin völlig zurück. "Wir haben die Frage der Sicherheit der Flüchtlinge auf den Bahnhöfen selbst in die Hand genommen", sagte Michael Braun, Sprecher der ÖBB. Rund 30 Mitarbeiter wurden dafür extra abgestellt. "Wir wollen dieser humanitären Krise mit Menschlichkeit begegnen", erklärte der Sprecher. Allerdings seien die Bundesbahnen durch diese Situation "sehr belastet".

"In erster Linie geht es darum, die Schlepper zu bekämpfen", begründete Polizeisprecher Roman Hahslinger die geringe Anzahl an Beamten. Zudem werde auch darauf geachtet, dass es in Zügen zu keinerlei Gefährdung komme. "Es wurden am Bahnsteig keine Kontrollen durchgeführt", sagte Hahslinger. Gerade eine Handvoll Polizisten war am Westbahnhof abgestellt, um etwaige Asylanträge entgegenzunehmen. Bis 17.00 Uhr suchte jedoch niemand um Asyl an, sagte Hahslinger.

Am Westbahnhof wurde ab Dienstagabend eine Einsatzzentrale mit Vertretern der ÖBB, Polizei, Caritas und Rettung eingerichtet. Start war um 19.00 Uhr, auch Feldbetten wurden aufgestellt, sagte der Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker der APA. Dies sei bei einer Koordinationssitzung beschlossen worden. "Es gibt dann vier klare Einsatzleiter", sagte Hacker.

1.500 bis 2.000 Flüchtlinge verbrachten indes die Nacht auf Dienstag am Salzburger Hauptbahnhof. Die ÖBB hielt deshalb extra den Bahnhof offen. Inzwischen seien aber alle nach Deutschland weitergereist, sagte Polizei-Sprecherin Valerie Hillebrand zur APA. Gröbere Zwischenfälle hat es ihren Angaben zufolge keine gegeben. Das Rote Kreuz und die ÖBB betreuten die Migranten, verabreichten Getränke, Obst, Decken und Hygieneartikel.

Nach der Einreise Hunderter Flüchtlinge aus Ungarn über Österreich hat der bayerische Innenminister Joachim Herrmann unterdessen zugesichert, diese nicht dorthin zurückzuschicken. Die Neuankömmlinge würden in Bayern registriert und in die Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sagte Herrmann am Dienstag im ZDF. Das sei "selbstverständlich". Er wisse bisher nicht, warum Ungarn plötzlich den in Budapest wartenden Migranten die freie Weiterfahrt nach Deutschland erlaubt habe. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere und er seien bemüht, rasch von Ungarn zu erfahren, wie es in den nächsten Tagen weitergehen solle.

Laut dem Dublin-System ist eigentlich dasjenige EU-Land für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Bearbeitung ihrer Asylanträge zuständig, in dem sie erstmals die Europäische Union betraten. Angesichts des starken Anstiegs der Flüchtlingszahlen lassen Italien, Griechenland und Ungarn, wo die meisten Flüchtlinge in die EU gelangen, die Migranten aber inzwischen weitgehend unkontrolliert weiterreisen.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) betonte, dass das Dublin-System für Flüchtlinge weiter in Kraft sei. Um den plötzlichen Ansturm von Asylwerbern in Zügen aus Ungarn Richtung Deutschland einzubremsen, müsse die Deutsche Regierung diese Menschen dringend darüber informieren, dass die Dublin-Regeln weiterhin gelten. Der Grund warum tausende Flüchtlinge die Züge stürmen, um von Ungarn über Österreich nach Deutschland zu gelangen, seien Meldungen wonach Deutschland Dublin für syrische Asylwerber aussetzen würde.

Die deutsche Bundesregierung erklärte hingegen: "Deutschland hat Dublin nicht ausgesetzt." Dublin sei geltendes Recht in Europa, sagte ein Sprecher. Asylbewerber müssten in dem Land registriert werden, in dem sie die Europäische Union betreten hätten. Wer also nach Ungarn komme, müsse sich vor Ort registrieren lassen und dort das Asylverfahren durchlaufen. Aus rein praktischen Erwägungen verzichte Deutschland aber bei syrischen Asylbewerbern "im Regelfall" auf die Rückführung in andere EU-Staaten. Dabei handle es sich um eine Leitlinie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, "nicht um eine formal bindende Vorgabe".

Teilnehmer einer Protestfahrt gegen die Unterbringung von Asylbewerbern aus Österreich wurden am Dienstagnachmittag indes von der slowakischen Polizei kurz vor Gabcikovo gestoppt. In der südslowakischen Ortschaft lief zur selben Zeit eine weitere im Voraus angekündigte Veranstaltung, so eine Sprecherin der Polizei in Trnava laut dem Internetportal topky.sk.

Offiziell handelte es sich um eine Übung der örtlichen Feuerwehr. Polizeiwagen blockierten die Zufahrtstraßen in die Gemeinde, Beamte ließen Menschen ohne Wohnsitz im Dorf nicht durch. Wagen mit fremdem Kennzeichen mussten umdrehen. Die Protestierenden versammelten sich schließlich in Nachbardörfern.

Die rechtsradikale Volkspartei - Unsere Slowakei (Ludova strana - Nase Slovensko LS-NS) des kontroversen Extremistenführers und Regionschefs Marian Kotleba hatte zu der Veranstaltung aufgerufen, um die "mutigen Bürger von Gabcikovo zu unterstützen". In der Gemeinde sollen laut der von Wien und Bratislava vereinbarten Asylkooperation 500 Asylanten aus dem überfüllten Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen vorübergehend untergebracht werden. Nach mehrmaligen Verschiebungen gilt jetzt Anfang September als wahrscheinlicher Ankunftstermin.

Bewohner von Gabcikovo hatten sich gegen die Regierungsentscheidung aufgelehnt, über 97 Prozent der Beteiligten lehnten in einer lokalen Volksbefragung Anfang August Asylanten in ihrem Dorf strikt ab. Die Regierung des Sozialdemokraten Robert Fico hält an ihren Plänen dennoch fest.

Obwohl die Kotleba-Anhänger an der Einfahrt ins Dorf gehindert wurden, haben sich laut Schätzungen von Medien am frühen Abend bis zu 200 Menschen in Gabcikovo versammelt. Neben Dorfeinwohnern waren auch Mitglieder der extremistischen Vereinigung "64 Burgkomitate" (HVIM) sowie der Jobbik-Partei aus Ungarn zu sehen, berichteten Medien.