Bundespräsident Heinz Fischer hat am Montag anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Gründung der Zweiten Republik daran erinnert, dass Österreich nicht nur Opfer Nazi-Deutschlands war, sondern viele Österreicher auch Unterstützer des NS-Regimes gewesen sind. Dieses Wissen verpflichte Österreich zum Grundsatz "Wehret den Anfängen", sagte Fischer bei seiner Rede in der Hofburg.

Kanzler Faymann und Vizekanzler MItterlehner bei der Kranzniederlgung
Kanzler Faymann und Vizekanzler MItterlehner bei der Kranzniederlgung © (c) APA/BKA/ANDY WENZEL (ANDY WENZEL)

Der Einladung des Präsidenten zum Staatsakt in der Wiener Hofburg waren zahlreiche Ehrengäste gefolgt, unter ihnen der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck, die Regierungsspitze mit Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Kardinal Christoph Schönborn. Bereits zuvor hatten Fischer und die Bundesregierung in der Früh beim Staatsgründungsdenkmal im Schweizergarten Kränze niedergelegt. In seiner Rede betonte Fischer die Notwendigkeit, niemals darauf zu vergessen, dass zahlreiche Österreicher den "Anschluss" im Jahr 1938 an Hitler-Deutschland bejubelt hatten - und Österreich nicht nur "erstes Opfer" Hitler-Deutschlands gewesen ist. "Besonders erwähnt soll der Umgang mit der NS-Vergangenheit und mit Opfern der NS-Zeit werden, wobei aber auch der konkrete, zeitgeschichtliche Rahmen Beachtung finden muss", so Fischer.

Fischer: Viele Opfer, noch mehr Täter

"Viele Österreicherinnen und Österreicher waren ohne Zweifel Gegner und auch Opfer des NS-Systems, doch ein deprimierend großer Teil waren Sympathisanten, Unterstützer und auch rücksichtslose Täter. Dazu kommt, dass bewusstes Wegschauen, Gedankenlosigkeit oder Opportunismus es dem herrschenden Regime erleichtert haben, seine Ziele zu verfolgen und zu erreichen. Das Wissen um diese Wahrheit ist es, das uns zu dem Grundsatz 'Wehret den Anfängen' verpflichtet."

Fischer äußerte sein Bedauern darüber, dass es nach Kriegsende viele Jahre schwergefallen sei, aus dieser Wahrheit "konkrete Gerechtigkeit für eine riesige Zahl von Einzelfällen zu schaffen - und zwar sowohl was die Täter als auch was die Opfer betrifft". So hätte von Anfang an klar sein müssen, dass die neu gegründete Republik nicht nur die Pflicht habe, Kriegsverbrechen und andere Verbrechen zu verfolgen, "sondern dass sie auch Verantwortung und Pflichten gegenüber jenen hat, die schweres Unrecht erlitten haben".

Gleichzeitig betonte Fischer, dass der Sieg der Alliierten für Österreich die Befreiung gebracht hat: "Österreich ist 1945 von einer unmenschlichen verbrecherischen Diktatur befreit worden", so der Präsident. Die Alliierte Besatzung sei zwar eine schwere Last gewesen, aber sie habe auch den Wiederaufbau Österreichs als demokratisches Land mit europäischen Werten nicht verhindert - "und damit den Weg von der Befreiung im Jahr 1945 zur vollen Freiheit im Staatsvertragsjahr 1955 ermöglicht". Mit der Aufarbeitung der Geschehnisse zeigte sich Fischer trotz allem letztendlich zufrieden: Dies würde die Gesetzgebung der letzten zwei Jahrzehnte beweisen.

Erstmals ausländischer Gast

Er verwies etwa auf die Errichtung des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus oder die Entschädigung von Zwangsarbeitern. Auch die Errichtung eines Denkmals für die Opfer der NS-Militärjustiz hob Fischer positiv hervor. Mit dem Kriegsende und der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April sei der "Grundstein zur Errichtung unserer Zweiten Republik" gelegt, worden, betonte Fischer. Der Präsident sprach von einer "Wiedergeburt" und einem "Tag des Neubeginns" nach Jahren einer "unmenschlichen Diktatur, eines entsetzlichen Krieges und des unfassbaren Holocaust". Die Demokratie sei die "beste und menschenwürdigste Lebens- und Regierungsform", dies hätten die sieben Jahrzehnte seit 1945 gelehrt.

Besonders begrüßt wurde seitens Fischers der deutsche Bundespräsident Gauck, mit diesem nehme zum ersten Mal auch das Staatsoberhaupt eines Nachbarlandes an den Feierlichkeiten teil: "Ich empfinde es als einen besonderen Moment, dass wir diesen Geburtstag der Zweiten Republik gemeinsam mit dem höchsten Repräsentanten jenes Landes begehen, mit dessen Geschichte wir in vielfältiger Weise so eng - zeitweise auch verhängnisvoll - verbunden waren, während wir heute mit neuem Selbstverständnis gemeinsam an einer friedlichen europäischen Zukunft arbeiten."

Er selbst habe das Kriegsende als Kind erlebt, sagte Fischer. Zwar hatte seine Familie damals von den konkreten Ereignissen in Wien wenig Ahnung, "aber eines hat sich mir als Kind tief eingeprägt: dass Krieg etwas ganz Entsetzliches ist und dass Unrecht und Gewalt Zwillinge sind."