Eigentlich wollten die Grünen mittels eines lang vorbereiteten Coups und mithilfe von ÖVP und FPÖ die geforderte Änderung der Mandatsermittlung - sprich die Eliminierung des die SPÖ begünstigenden Mehrheitsfaktors - in der heutigen Sitzung doch noch durchpeitschen. Dank insgesamt 51 Mandaten hätten die drei Fraktionen die über 49 Mandate verfügende SPÖ niederstimmen können.

Um 8.00 Uhr machte die SPÖ diesem Plan allerdings einen Strich durch die Rechnung. Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler gab überraschend bekannt, dass der bisherige grüne Integrationssprecher Senol Akkilic in die Reihen der SPÖ gewechselt sei. Der 49-Jährige hatte von den Grünen zuvor keinen Listenplatz für die nächste Legislaturperiode erhalten. Niedermühlbichler sicherte Akkilic heute ein fixes SPÖ-Mandat zu. Letzterer kündigte zugleich an, gegen das grüne Antragspaket stimmen zu wollen. Durch die Pattstellung von 50 zu 50 Mandaten war eine Wahlrechtsreform somit endgültig zum Scheitern verurteilt.

Die merkbar überraschte wie geschockte grüne Parteispitze reagierte mit harscher Kritik vor allem am Koalitionspartner. Frontfrau Maria Vassilakou geißelte "bestenfalls fassungslos" den roten "Vertrauensbruch" und attackierte den Regierungspartner scharf wie nie zuvor: "Die SPÖ klammert sich an ihre Privilegien und scheut sich nicht, die allerunterste Schublade zu bedienen." Sie kündigte an, dass die Grünen nun den "Modus Operandi" für die restliche Koalitionsarbeit in den Gremien beraten würden. Ein vorzeitiges Aus von Rot-Grün und damit noch Wahlen vor dem Sommer dürften aber nicht ernsthaft zur Debatte stehen.

Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) richtete dem kleinen Koalitionspartner zugleich in einem APA-Interview aus, man könne doch noch einmal in Sachen Wahlrecht verhandeln, ließ die Grünen aber zugleich ihre Niederlage spüren: "Die Grünen haben geglaubt, wir lassen uns das einfach so gefallen." Vassilakou wies das Gesprächsangebot brüsk zurück: "Das kann wohl nur ein verfrühter Aprilscherz sein." Klubchef David Ellensohn kündigte an, dass man weiter für ein faires Wahlrecht kämpfen werde: "Ich nehme an, dass ich noch in diesem Haus sitzen werde, wenn hier ein faires Wahlrecht beschlossen wird."

In der von einigen Unterbrechungen und langwierigen Debatten über rechtliche Spitzfindigkeiten geprägten Sitzung sparte auch die Opposition nicht an scharfen Worten in Richtung SPÖ bzw. Akkilic. "Das ist ein schwarzer Tag für die Demokratie und ein schwarzer Tag für den politischen Anstand", wetterte FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus. Man könne sich einen Mandatar offenbar mit "30 Silberlingen" kaufen. Ein Vorwurf, den SPÖ-Klubchef Rudi Schicker postwendend zurückwies: "Herr Akkilic ist aus freien Stücken gewechselt", schwor er.

Auch ÖVP-Parteichef Manfred Juraczka schmeckten die "wenig appetitlichen Vorgänge" gar nicht. Es sei "bemerkenswert", dass Akkilic eine Stunde vor der Landtagssitzung seinen Wechsel bekannt gegeben habe: "Dabei kenne ich Sie, Herr Kollege Akkilic, als jemanden, der in seinen Wortmeldungen immer die Moral hochgehalten hat."

Aufgrund der neuen Mandatsverhältnisse gaben sich die Grünen schon am Vormittag so gut wie geschlagen. Die Probe aufs Exempel wurde allerdings gar nicht mehr durchgeführt. Denn die von Grünen und ÖVP eingebrachten Zusatzanträge, die ein neues Wahlrecht hätten durchsetzen sollen, ließ Landtagspräsident Harry Kopietz (SPÖ) erst gar nicht zur Abstimmung zu. Er argumentierte, dass die Mandatsermittlung "in keinem inhaltlichen und systematischen Zusammenhang" mit der eigentlichen Gesetzesänderung stehe, zu dem er eingebracht wurde - also zur verfassungsgerichtlich notwendigen Wahlrechtsreparatur in Sachen Wahlkartenfrist. Ein inhaltlich gleichlautender Zusatzantrag der ÖVP wurde von Kopietz mit der selben Argumentation nicht zugelassen.

Über einen ähnlich lautenden Reform-Resolutionsantrag der Grünen wurde zwar letztendlich doch abgestimmt. Dieser scheitere aber, da Akkilic bei der namentlichen Abstimmung im Sinne seiner neuen Heimatpartei, der SPÖ, votierte und somit für eine Pattstellung erzwang, was einer Ablehnung gleichkommt. Somit ist nun endgültig fix, dass die Wien-Wahl am 11. Oktober mit dem derzeit gültigen mehrheitsfördernden Wahlrecht stattfinden. Dessen verfassungsrechtlich nötigen Reparaturen bezüglich Wahlkartenfrist und Ausschlussgründe für bestimmte Strafgefangene wurden - trotz aller herben Streitigkeiten - schließlich einstimmig abgesegnet.