Ist Werner Faymann überhaupt groß genug? Und seine Stimme nicht viel zu hoch? Solche Fragen wurden zuletzt mit Eifer auch in sozialen Medien diskutiert. Seit der SPÖ-Chef regelmäßig mit dem neuen Herausforderer, dem kürzlich mit 99,1 Prozent zum Chef der ÖVP gewählten Reinhold Mitterlehner auftritt, gewinnen solche Oberflächlichkeiten an Relevanz – weil der schlaksige „Django“ Mitterlehner Faymann deutlich überragt und sich der Oberösterreicher vom kürzeren, stämmigen Wiener mit sonorer Stimme abhebt wie ein Bariton vom Sängerknaben.

Viele rümpfen ob solcher Trivialitäten die Nase, wundern sich auch, mit welchem Interesse der Wiederwahl Faymanns heute Abend entgegengefiebert wird: Schafft der entscheidungsschwache Faymann, dessen SPÖ laut Umfragen jetzt hinter ÖVP und FPÖ auf Platz drei abgestürzt sein soll, ein Ergebnis mit einem Neuner vorn?

Parteitagsfragen tabu

Oder stinkt der vom ÖGB, den SPÖ-Frauen, der Parteijugend, den Wählern und der ÖVP zunehmend Geforderte ab wie 2012, als er in St. Pölten mit 83,4 Prozent das größte Debakel aller SPÖ-Parteichefs hinnehmen musste? Solcher Peinlichkeit vorzubeugen, hat sich die Partei zuletzt emsig bemüht. Faymann tourte von einem Länder-Parteitag zum nächsten. Seinem Liebeswerben sind weder der  Pensionistenverband noch der Gewerkschaftsbund entkommen. Faymann, der sich zuletzt in Interviews jede Frage nach dem Parteitag verbat, hofierte den ÖGB auch damit, dessen Steuerreformkonzept zum Herzensanliegen der SPÖ zu machen. Wo nur möglich, wurden parteiintern Aufrufe zu größter Geschlossenheit am Parteitag deponiert. Die SPÖ war auch eisern bemüht, vor der Wiederwahl Faymanns, zu der 640 ordentliche Delegierte und fast 800 Gäste (als Zuschauer) geladen sind, keine Angriffs- und Diskussionsfläche zu bieten.

Das musste etwa die Ö1-Sendung „Klartext“ leidvoll erfahren. Sie hatte zur öffentlichen Diskussion heikler SPÖ-Themen wie „Muss man in der SPÖ von Werner Faymann  brav und angepasst sein, um Karriere zu machen?“ reihenweise Absagen eingeladener SPÖ-Granden bekommen. Vom Kanzler abwärts sagten alle Minister, auch Medienminister Josef Ostermayer, der sonst wenig scheue Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der meistens eher streitbare Josef Muchitsch, auch Klubchef Andreas Schieder und andere ab. Lediglich die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, wagte sich vors Mikrofon. Von den Jungen, aber auch von Oberösterreichs SPÖ-Frauenchefin Sonja Ablinger (siehe Interview rechts) ist am meisten Dampf am Parteitag zu erwarten. Denn sie wollen Anträge stellen, deren Inhalt „die Partei in die Seele trifft“, wie Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos fürchtet. Sie fordern etwa die Freigabe von Cannabis, „Raus aus der Koalition mit der ÖVP“, Öffnung des Arbeitsmarkts für Asylwerber oder Verzicht auf Grenzkontrollen.

Mehr als 90 Prozent?

Doch wirklich richtig heiß wird es auf dem Parteitag (Motto „Sozial denken. Lohnsteuer senken“) kaum zugehen. „Angesagte Revolutionen finden meist nicht statt“, glaubt etwa Niki Kowall, der Parteirebell von der Wiener „Sektion 8“, der vorhat, als Gastdelegierter ohne Rederecht ans Rednerpult zu streben, und hofft, „dass ich nicht weggstampert werde“.

Kowall glaubt nicht, dass Faymann ein schlechteres Ergebnis als die 83,4 Prozent von St. Pölten ernten wird. Der SPÖ-Chef selbst soll im Gegensatz zu seiner Parteizentrale nicht an deren Hoffnung von „90 Prozent plus“ glauben. Aber das sei ohnehin längst egal, meint Kowall.

Denn die müde SPÖ, die zur Pensionistenpartei geworden ist, nivelliere bereits seit 30 Jahre ihre Ansprüche regelmäßig nach unten: Früher waren 40, dann 30 Prozent Wähleranteil das Ziel. Heute sei sie mit 26,5 Prozent zufrieden. Hauptsache Erster, heiße das Credo, das immer mehr Parteigänger aufregt.