Wie geht es Ihnen mit der SPÖ, sind Sie glücklich mit ihr?

NIKOLAUS KOWALL: Die SPÖ ist ja viel mehr, als medial wahrgenommen wird. Mit der gesamten Breite der österreichischen Sozialdemokratie bin ich nicht so unglücklich.

Was heißt, sie sei viel mehr?

KOWALL: Das sind 200.000 Mitglieder, davon sind wahrscheinlich zehn Prozent aktiv, das sind schon einmal 20.000 Menschen. Dann gibt es 3000 Ortsorganisationen wie unsere, die Sektion 8. Dazu kommen viele Gewerkschafter und Leute, die in den Kammern tätig sind. Da sind sehr viele positive Kräfte am Werken.

Wie stehen Sie und Ihre Gruppe zur SPÖ-Parteispitze und deren Führungsqualität?

KOWALL: Es ist kein Geheimnis, dass wir, je näher man zur Spitze kommt, desto unzufriedener sind.

Sie kritisieren häufig. Grüßt Sie eigentlich Parteichef Werner Faymann noch?

KOWALL: Wir haben uns noch nie gesehen. Es gibt keine Kommunikation. Ich habe auch mit dem Landesparteisekretär der Wiener SPÖ noch nie gesprochen.

Aber Sie haben doch am Landesparteitag der SPÖ Wien durchgesetzt, das kleine Glücksspiel zu verbieten.

KOWALL: Ja, schon, aber da haben wir die Delegierten angesprochen, nicht die Parteispitze. Ich suche gar keine Kommunikation, ich wüsste auch nicht, was ich denen sagen soll.

Aha ... Na dann: Welche sind denn die größten Defizite der heutigen SPÖ?

KOWALL: Das größte Defizit ist die Identitätskrise jener Menschen, die man früher Parteikader genannt hat und die den ideologischen Kern gebildet haben. Diese Krise hat sich vor zwanzig, dreißig Jahren aus soziologischen, ökonomischen, sozialen Gründen eingeschlichen. Auch die Individualisierung der Gesellschaft und die Entproletarisierung, der Drang nach Partizipation und die Umweltorientierung - lauter Sachen, die die Arbeiterbewegung nicht absorbieren konnte - haben dazu beigetragen.

Wie äußert sich diese Krise?

KOWALL: Sie ist deshalb das größte Problem, weil in letzter Konsequenz unklar ist, wie die Welt ausschauen soll, die wir wollen. Das war früher klar. Die Konservativen haben übrigens auch keine Vorstellung mehr. Wir haben in den wesentlichen Fragen wie dem von Deutschland durchgesetzten Sparzwang keine Alternative zu bieten. Es fehlt ein konziser Gegenentwurf zur Politik von Frau Merkel. Es gibt nur ein paar Emotionen, keine intellektuelle Schärfe mehr, intern wird noch geredet, aber nach außen traut sich keiner mehr etwas zu sagen, weil es "könnte ja dem Standort schaden". Oder es könnten sich irgendwelche Gruppen in den Medien oder in der Wissenschaft auf den Zeh getreten fühlen. Das wird vermieden.

Wird die SPÖ heute überhaupt noch gebraucht?

KOWALL: Sie ist heute noch nötig, weil sie ein Defensivbollwerk für den Wohlfahrtsstaat ist.

Warum sollten junge Menschen diese Partei wählen?

KOWALL: Für junge Familien ist das, was die SPÖ derzeit macht, gar nicht so unattraktiv. Ich denke an den Ausbau der Kinderbetreuung und an diese Mittelschulen, mit denen man versucht, die Qualität der Ausbildung in der Sekundarstufe eins zu erhöhen. Das ist alles nicht nix. Die SPÖ verwaltet ganz gut. Sie hat halt ein paar Megatrends verschlafen.

Aber das wird sich ja mit dem neuen Parteiprogramm, an dem Josef Cap und Karl Blecha arbeiten, gründlich ändern, oder?

KOWALL: Also das Parteiprogramm (lacht). Schauen Sie, ich habe ganz andere Zeithorizonte, als die meisten glauben. Wir haben mit der Sektion 8 vor sieben Jahren begonnen und haben viel erreicht. Etwa, dass sich zuletzt im Rahmen der Urabstimmungskampagne 120 Ortsgruppen öffentlich gegen die Parteilinie gestemmt haben. Mich interessiert, was in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren passieren wird.

Und wie wollen Sie das beeinflussen, dabei mitgestalten?

KOWALL: Die einzige Möglichkeit ist die Erneuerung von unten. Für Veränderungen steht der SPÖ die Machtlogik im Weg. Die Partei ist völlig in Institutionen eingefräst und versucht sich dort zu halten. Sie hat das Zivilgesellschaftliche, Außerparlamentarische völlig vernachlässigt. Wir, die Sektion 8, bezeichnen uns auch deshalb als sozialdemokratische NGO, weil wir darauf hinweisen wollen, dass es auch eine zivilgesellschaftliche SPÖ gibt. Ich fahre zu jeder Ortsgruppe, die mich einlädt. Egal, ob in Salzburg, Gänserndorf oder Gmunden. Ich war in den letzten zwei Jahren bei etwa 30 solchen Terminen. Dort wird ganz grundsätzlich diskutiert, da verlässt drei Stunden kein Mensch den Raum.

Warum gründen Sie nicht selbst eine neue, linke Partei?

KOWALL: Weil wir Sozialdemokraten sind. Als neue bringen wir fünf, sechs Prozent zusammen. Dann sitzen wir zu fünft im Parlament. Uninteressant. Wir wollen ja die Gesellschaft verändern.