Solange Israel die vor mehr als 20 Jahren vereinbarten Friedensverträge verletze, seien auch die Palästinenser nicht mehr an sie gebunden, sagte der 80-jährige Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas in einer dramatischen Ansprache.

Israel müsse daher "seine Verantwortung als Besatzungsmacht übernehmen". De facto bedeutet dies zwar eine Aufkündigung des 1993 aufgenommenen Friedensprozesses von Oslo. Ob es wirklich soweit kommt, ist allerdings mehr als fraglich.

Tiefe Frustration

Abbas' Worte zeugen vor allem von der tiefen Frustration der Palästinenser über mehr als zwei Jahrzehnte vergeblicher Bemühungen, auf dem Verhandlungsweg zu ihrem eigenen Staat zu gelangen. Ob sich durch die Ankündigung von Abbas in den Palästinensergebieten praktisch etwas ändern wird, ist noch völlig offen.

"Die Palästinenser wollen ihre Beziehung zu Israel neu definieren", sagte Xavier Abu Eid von der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO als Erklärung für die Rede. "Eine Option wäre zum Beispiel, die Sicherheitszusammenarbeit (mit der israelischen Armee) zu beenden."

Anstieg von Gewalt zu befürchten

Mit einer Auflösung der 1994 eingerichteten Autonomiebehörde, die bereits als eine Art Mini-Staat funktioniert, würden die Palästinenser sich aber vor allem ins eigene Fleisch schneiden. Die internationale Hilfe in Milliardenhöhe, mit der auch die Gehälter von 180.000 Beamten der Autonomiebehörde bezahlt werden, wäre in Gefahr. Sollte die Palästinenserpolizei die enge Sicherheitszusammenarbeit mit Israel beenden, ist auch ein weiterer Anstieg der Gewalt in der Region zu befürchten.

Eineinhalb Jahre nach dem Abbruch der letzten Friedensverhandlungen mit Israel ist die Frustration in den Palästinensergebieten groß. 65 Prozent der Palästinenser wollen laut einer jüngsten Meinungsumfrage einen Rücktritt von Abbas, der seit 2005 Präsident ist. Seine Rede ist daher auch als Versuch zu sehen, wieder mehr Rückhalt beim eigenen Volk zu gewinnen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu warf Abbas nach der Rede "Hetze" vor, forderte ihn aber gleichzeitig zu neuen direkten Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen auf. Aus palästinensischer Sicht handelt es sich dabei jedoch um reine Taktik. Sie werfen Israel vor, es wolle unter dem Deckmäntelchen endloser Verhandlungen, die ohnehin ins Leere führen, seine Siedlungen im Westjordanland und Ost-Jerusalem immer weiter ausbauen. Diese machten die Einrichtung eines Palästinenserstaates auf zusammenhängendem Gebiet unmöglich.

Stillstand bei Gesprächen

Angesichts des Stillstands bei den Gesprächen mit Israel hat Abbas sich in den letzten Jahren darum bemüht, als ein Druckmittel internationale Anerkennung für einen eigenen Staat der Palästinenser zu gewinnen. 2012 hatten die Vereinten Nationen Palästina als Beobachterstaat anerkannt. Dies ebnete den Palästinensern den Weg zum Beitritt zum Weltstrafgerichtshof und damit zu möglichen Verfahren gegen Israelis.

Versuche von Abbas, Israel mithilfe des UNO-Sicherheitsrats eine Frist zur Beendigung der Besatzung zu setzen, blieben jedoch bisher ohne Erfolg.

Inzwischen scheint die Weltöffentlichkeit auch mehr mit der Flüchtlingskrise und dem Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat beschäftigt zu sein. Gut ein Jahr nach Ende des blutigen Gaza-Kriegs ist das Interesse für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern stark in den Hintergrund gerückt.

Mit seinem Paukenschlag vor den Vereinten Nationen könnte Abbas daher versuchen, die palästinensische Sache wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Ein völliger Bruch mit Israel ist es aber sicher nicht: "Ich strecke weiter meine Hand aus, um einen gerechten Frieden zu erzielen", sagte Abbas. "Ich sage unseren Nachbarn, dem israelischen Volk, dass Frieden in ihrem Interesse ist, in unserem Interesse, und im Interesse der künftigen Generationen."