Nach tagelangen Massenprotesten gegen die Ausweitung seiner Befugnisse hat der ägyptische Präsident Mohammed Mursi teilweise eingelenkt. Der Staatschef setzte am Samstagabend das umstrittene Dekret über seine Sondervollmachten außer Kraft, wie der Politiker Selim al-Awa in Kairo mitteilte. Der zweiten zentralen Forderung der Opposition, das Referendum über den Verfassungsentwurf zu verschieben, kam Mursi nicht nach. Laut Al-Awa wurde ein neues Dekret erlassen.

Es enthält nicht mehr den Satz, wonach die Entscheidungen des Präsidenten über allen juristischen Schritten stehen. Das neue Dekret sieht vor, dass es im Falle einer Ablehnung der Verfassung durch die Wähler am kommenden Samstag eine Wahl für eine neue verfassungsgebende Versammlung geben werde. Diese habe daraufhin sechs Monate Zeit, ein neues Regelwerk zu erarbeiten. Angesichts der Mehrheit der Muslimbrüder und radikaler Islamisten gilt eine Zustimmung zum Verfassungsentwurf jedoch als sicher.

Mursi habe auch alle nicht an den Beratungen am Samstag beteiligten Gruppen gebeten, ihre Vorschläge für Änderungen an der Verfassung zu unterbreiten, sagte al-Awa. Die Nationale Heilsfront, ein Bündnis linker und liberaler Parteien, war bei dem Treffen nicht anwesend.

Einladung zum Dialog

Angesichts heftiger Massenproteste hatte Mursi seine Gegner für Samstag zum Dialog gebeten. Der Einladung folgten jedoch nur wenige prominente Oppositionelle. Von den bekannten Aktivisten nahm lediglich der Liberale Eiman Nur teil. Insgesamt seien aber mehr als 50 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bei den Diskussionen zugegen gewesen, berichtete die Zeitung "Al-Ahram". Fast alle maßgeblichen Oppositionsführer, unter ihnen Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei, blieben hingegen fern.

Datum für Referendum bleibt bestehen

Das Datum 15. Dezember für das Referendum bleibe bestehen, weil eine Verschiebung rechtlich nicht möglich sei. Mursi sei während der gesamten Sitzung des Gremiums anwesend gewesen, fügte al-Awa hinzu. Er habe gesagt, er akzeptiere alle dort getroffenen Entscheidungen und werde sich an sie halten.

In dem festgefahrenen Konflikt schaltete sich am Samstag die einflussreiche Armee ein und forderte Regierung und Opposition zum Dialog auf. Andernfalls werde Ägypten in einen "dunklen Tunnel mit katastrophalen Folgen" geraten. Die Armee forderte die Achtung des Rechts und der "demokratischen Regeln, auf die wir uns alle verständigt haben".

Fraglich war, ob die Opposition nach der Aufhebung des Dekrets in einen Dialog einwilligen würde. Am Freitag hatte die Nationale Heilsfront ein Gesprächsangebot Mursis zurückgewiesen. Bei den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, dem zentralen Ort der Oppositionsproteste, wurde die Nachricht von der Aufhebung des Dekrets verhalten aufgenommen. "Das wird nichts ändern", sagte der Mursi-Gegner Mohammed Shakir. Ahmad Abdallah sagte, die hinter Mursi stehende Muslimbruderschaft müsse verschwinden. Diese habe die Gesellschaft gespalten. "Vor der Spaltung hatte Mursi eine Chance, jetzt ist es zu spät."

Lage entspannt

Die Lage in Kairo war am Samstag ruhig. Noch am Freitag hatten in der Hauptstadt mehr als 10.000 Mursi-Gegner vor dem Präsidentenpalast demonstriert. Einigen Demonstranten gelang es, die Absperrungen zu überwinden. Soldaten riegelten das Gebäude mit Panzern und Stacheldraht ab.

Bisher war in Ägypten von mindestens sieben Toten und mehr als 770 Verletzten bei den Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und Oppositionellen in mehreren Städten des Landes die Rede gewesen.