Nach einem weiteren Massaker in Syrien wächst die Sorge vor einem Übergreifen des Konflikts auf die ganze Region. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen konnte sich trotz Mahnungen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und dem Sondergesandten Kofi Annan bisher nicht auf eine einheitliche Position verständigen. Russland und China verhindern nach wie vor Sanktionen gegen die Regierung von Präsident Bashar al-Assad und fordern auch eine Waffenruhe seitens des Widerstands.

Annan warnte vor einem ausufernden Regionalkrieg. "Syrien ist nicht Libyen. Es würde nicht implodieren, es würde explodieren und die ganze Region mitreißen", sagte der frühere UN-Generalsekretär in New York. Anders als in anderen arabischen Ländern geht es in Syrien nicht allein um den Sturz eines autokratischen Systems, sondern um eine schwerwiegende Konfrontation gesamtislamischen Ausmaßes, deren Hauptprotagonisten der schiitische Iran und Saudi-Arabien als konservative sunnitische Vormacht sind. Saudi-Arabien und seine Golf-Trabanten halten den Moment für gekommen, das "ketzerische" alawitische Regime in Damaskus wegzubekommen, das für Teheran ein unverzichtbarer Verbündeter, nicht zuletzt als Verbindungsglied zur schiitischen Hisbollah im Libanon, ist.

Annan hofft auf Kontaktgruppe

Annan hofft auf eine neue Kontaktgruppe mit Ländern, die Einfluss auf Damaskus haben. Dazu könnten die USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich und auch regionale Mächte wie die Türkei und Saudi-Arabien gehören. "Auch der Iran ist ein wichtiges Land in der Region und hoffentlich ein Teil der Lösung." Ban Ki-moon sagte, es liege jetzt am Sicherheitsrat, "einen einheitlichen Kurs zu finden. Die Menschen fordern, dass wir handeln."

Russland schlug erneut eine internationale Syrien-Konferenz vor. Außenminister Sergej Lawrow machte in der kasachischen Hauptstadt Astana deutlich, dass die UN-Vetomacht Russland eine ausländische Intervention in Syrien nicht zulassen werde. China hat an Regierung und Opposition in Syrien appelliert, die Gewalt zu beenden. Angesichts der gefährlichen Entwicklungen seien die Bemühungen Annans noch wichtiger geworden, sagte Außenminister Liu Weimin in Peking. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat internationale Gespräche über ein Exil für den syrischen Präsidenten gefordert. Das sogenannte Jemen-Modell für Assad werfe zwar einige Fragen auf, sollte aber diskutiert werden, sagte Erdogan. Im Jemen war der langjährige Präsident Ali Abdallah Saleh nach monatelangen Protesten gegen seine Herrschaft zurückgetreten. Er ist trotz Forderungen, ins Exil zu gehen, bisher im Land geblieben, das jetzt von seinem früheren Stellvertreter Abed Rabbo Mansour Hadi regiert wird.

Flüchtlingshochkommissar fordert mehr Engagement

Ein stärkeres Engagement für die syrischen Flüchtlinge hat UN- Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres von der internationalen Gemeinschaft gefordert. In Amman erklärte der frühere portugiesische Ministerpräsident, ebenso wie die Türkei und der Libanon brauche Jordanien heute dringend internationale Unterstützung, nachdem es einen sehr hohen Preis für seine "Großzügigkeit und Solidarität" zahle. Die internationale Gemeinschaft müsse dem Rechnung tragen, betonte Guterres. Die jordanischen Behörden gaben die Zahl der syrischen Flüchtlinge im Land mit 120.000 an, doch nur weniger als 20 Prozent haben sich registrieren lassen. Viele Flüchtlinge, vor allem Angehörige religiöser Minderheiten, sind von der Angst getrieben, dass extremistische Islamisten in den Reihen der von Saudi-Arabien geförderten Aufständischen nicht nur das Assad-Regime hinwegfegen, sondern auch Mordorgien inszenieren, wie man sie im Irak jahrelang mit Hunderttausenden von Opfern erleben musste.

In Syrien wollten UN-Beobachter inzwischen nochmals einen Versuch unternehmen, in das Dorf Al-Kobeir in der Provinz Hama zu gelangen, wie UN-Sprecher Hassan Siklawi mitteilte. Dort waren am Mittwoch zahlreiche Menschen getötet worden. Am Donnerstag wurden Fahrzeuge der UN-Beobachter auf dem Weg nach Al-Kobeir beschossen worden. Ein Wagen wurde dabei beschädigt. Nach Angaben von Oppositionellen starben in Al-Kobeir mindestens 80 Menschen, darunter 42 Kinder und Frauen. Sie wurden angeblich mit Knüppeln erschlagen und mit Messern aufgeschlitzt. Die Rebellen beschuldigten paramilitärische Einheiten von Präsident Assad, für das Massaker verantwortlich zu sein. Die syrische Regierung spricht von deutlich weniger Toten und weist Oppositionellen die Schuld zu. Am 25. Mai waren bei einem Blutbad in Houla mehr als 100 Menschen umgebracht worden.