Die EU und die türkische Regierung haben sich nach Angaben des finnischen Premiers Juha Sipilä auf ein Abkommen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise geeinigt. Mit dem am Freitag vereinbarten Maßnahmenpaket soll die Migration über die Ägäis Richtung Europa gestoppt werden, während die Türkei im Gegenzug Zugeständnisse bei Visa-Liberalisierungen, den EU-Beitrittsgesprächen und Finanzhilfen erhält.

Der Vertrag soll bereits kommenden Sonntag (20. März) gültig werden. Es sei aber auch eine Kündigungsmöglichkeit vorgesehen, sollten die gewünschten Resultate der Flüchtlingseindämmung nicht erzielt werden, hieß es in EU-Ratskreisen.

Bei dem von EU-Ratspräsident Donald Tusk den 28 Staats- und Regierungschefs vorgelegten Papier soll auch der türkische Wunsch nach einer Eröffnung des Beitrittskapitels 33 (Finanzen und Haushalt) vor Juli enthalten sein. Zudem wollen die EU und die Türkei innerhalb einer Woche eine konkrete Liste über die Projekte vorlegen, für die die drei Milliarden von der EU zugesagten Hilfsmittel an die Türkei verwendet werden sollen. Neben der bereits beschlossenen drei Mrd. Euro soll die Türkei noch einmal bis zu drei Mrd. von der EU erhalten.

Dem Vernehmen nach soll die Regelung auch eine zeitliche Frist vorsehen, die aber nicht konkret terminisiert ist, hieß es. Der Vertrag solle aber jedenfalls auslaufen, wenn 72.000 Flüchtlinge aus Syrien laut dem Deal 1:1 erreicht sind.

In den Vorverhandlungen zwischen dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu mit Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem niederländischen Ratsvorsitzenden Mark Rutte sollte ausgelotet werden, wieweit die zuletzt erzielte Einigung in der Nacht auf Freitag auf eine einheitliche EU-Linie Bestand hat.

Die Eckpunkte des Entwurfs, über den verhandelt wurde:

Die Türkei ist zu einem Entgegenkommen bereit - stellt aber auch viele Forderungen. Die Ziele der Türkei und was die EU bietet:

- VISAFREIHEIT: Das wichtigste politische Ziel der Regierung ist, dass Türken ab Ende Juni ohne Visa in den Schengen-Raum reisen dürfen. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte kürzlich im Parlament: "Das ist ein 50, 60 Jahre alter Traum für unsere Bürger." Mit der Visafreiheit würde die islamisch-konservative Regierung bei den Wählern am stärksten punkten. Viele Türken empfinden die aktuelle Praxis als demütigend. Derzeit dürfen die meisten EU-Bürger visumfrei in die Türkei einreisen. Türken müssen dagegen einen aufwendigen Prozess durchlaufen, um ein Schengen-Visum zu bekommen.

Im Entwurf der Gipfelerklärung ist das Aufheben der Visumspflicht als Ziel bis Ende Juni festgehalten. Die Türkei muss allerdings 72 Bedingungen dafür erfüllen. Unter anderem muss die Türkei ihre Datenschutzsysteme und Passvorschriften an EU-Standards angleichen.. Innerhalb der EU ist die Visafreiheit für Türken umstritten.

- GELD: Bis zu sechs Milliarden Euro Finanzhilfen für die Flüchtlinge in der Türkei stehen im Raum. Allerdings ist die Türkei kein Entwicklungsland, das auf das Geld angewiesen wäre - sie gehört zu den G-20-Staaten der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Aus Sicht Davutoglus ist das EU-Geld "nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen". Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagte im vergangenen Jahr an die Adresse der Europäer: "Die Türkei ist kein Land, das an eure Tür kommt und bettelt."

Die EU will die Auszahlung der bereits zugesagten drei Milliarden Euro beschleunigen, das Geld hing monatelang fest. Im Entwurf der Gipfelerklärung steht, dass die EU bereit sei, bis 2018 über weitere bis zu drei Milliarden Euro zu entscheiden - wenn die erste Tranche aufgebraucht ist und die "erwünschten Ergebnisse" erzielt hat.

- LASTENTEILUNG: Die Türkei hat nach eigenen Angaben 2,7 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien aufgenommen - mehr als jedes andere Land. Ankara beklagt seit langem, dass die Türkei mit dem Problem alleine gelassen werde. Erdogan drohte laut einem an die Öffentlichkeit gelangten Protokoll bei einem Gespräch mit den EU-Spitzen vor dem Gipfel Ende November: "Wir können die Türen nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen."

Die Türkei hat nun angeboten, alle Flüchtlinge zurückzunehmen, die ab einem noch zu bestimmenden Datum auf die griechischen Ägäis-Inseln flüchten. Für jeden von der Türkei zurückgenommenen Syrer will die EU im Gegenzug einen Syrer aufnehmen. Allerdings bietet die EU dafür im Entwurf der Gipfelerklärung zunächst nur 72.000 Plätze. Und derzeit ist nicht einmal klar, wie diese Asylsuchenden verteilt würden.

- EU-MITGLIEDSCHAFT: Für Ankara sind die Verhandlungen auch eine Prestigefrage. Beitrittskandidat ist Ankara bereits seit 1999, die Verhandlungen begannen 2005. Sie schleppen sich seitdem im Schneckentempo dahin. Kritiker werfen Erdogan vor, das Land nicht an Europa heran-, sondern von europäischen Werten wegzuführen. Erdogan verdächtigt die EU dagegen, eine "Union der Christen" bleiben zu wollen - und sein Land deshalb vor der Tür stehen zu lassen.

Auch wenn niemand mit einem baldigen EU-Beitritt der Türkei rechnet, hat die EU zugesagt, wieder Fahrt in die Verhandlungen zu bringen. Neue Kapitel sollen "so bald wie möglich" eröffnet werden. Für das türkische Selbstwertgefühl dürfte schon Balsam sein, dass Davutoglu nun das dritte Mal in vier Monaten zu einem EU-Gipfel eingeladen ist - auch wenn das kein Ausdruck einer neu erwachten europäischen Liebe gegenüber der Türkei, sondern der Flüchtlingskrise geschuldet ist.

- SYRIEN: Die Türkei spricht sich seit langem dafür aus, Sicherheitszonen in Syrien zu schaffen und die Flüchtlinge dort unterzubringen. Erdogan forderte Anfang des Monats sogar, dafür eine ganze Stadt nahe der türkischen Grenze zu errichten. Das Problem: Niemand will diese Sicherheitszonen schützen. Voraussetzung wäre eine Flugverbotszone, die aber gegen den Willen Russlands keine Chance hätte. Außerdem müssten Truppen eine solche Zone am Boden verteidigen - und niemand möchte dafür Soldaten stellen.

Der Gipfelentwurf bleibt in dem Punkt vage. Dort steht, die EU werde mit der Türkei daran arbeiten, die humanitären Bedingungen in Syrien zu verbessern. Das würde "der lokalen Bevölkerung und Flüchtlingen erlauben, in Gegenden zu leben, die sicherer sein werden".