Nach den jüngsten Flüchtlingstragödien im Mittelmeer kommen die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zu einem Krisengipfel in Brüssel zusammen. EU-Ratspräsident Donald Tusk berief das Spitzentreffen am Montag ein, wie er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter bekanntgab.

Er kam damit einer Forderung von Italiens Regierungschef Matteo Renzi und des britischen Premiers David Cameron sowie mehrerer ihrer Kollegen nach.

Weiteres Unglück vor Rhodos

Am Sonntag waren bis zu 950 Menschen vor der libyschen Küste ertrunken, als sie versuchten, nach Italien zu gelangen. Es war vermutlich die bisher schlimmste Flüchtlingstragödie im Mittelmeer, doch gingen ihr viele Unglücke voraus, bei denen ebenfalls hunderte Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Am Montag lief nach Angaben der griechischen Küstenwache vor der Insel Rhodos ein Segelboot mit Dutzenden Flüchtlingen an Bord auf Grund. Mindestens drei Insassen, darunter ein Kind, seien ertrunken. Mehr als 90 Flüchtlinge hätten gerettet werden können.

Am Montag waren die EU-Außen- und Innenminister in Luxemburg zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen, um auf die Krise zu reagieren. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) forderte erneut Verhandlungen mit den nordafrikanischen Ländern zur Schaffung von Asylzentren des UNO-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR in der Region. Entscheidend sei jetzt auch, die Rettungskapazitäten der EU im Mittelmeer auszubauen.

Kurz: "Engagement vor Ort"

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) forderte, dass die EU unmittelbar den Kampf gegen Schlepper verstärke. Dazu sollte die EU auch eine gemeinsame sicherheitspolitische Mission andenken. "Es braucht Engagement vor Ort."

Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere erklärte: "Die Seenotrettung muss erheblich verbessert werden, sie muss schnell organisiert und europäisch finanziert werden:" Ein Allheilmittel könne dies aber nicht sein, weil kriminelle Schlepperbanden dann "nur noch mehr Flüchtlinge auf solche Boote schicken". Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte, dass mehr Anstrengungen zur Rettung von Flüchtlingen nötig seien. "Wir sind es uns insgesamt selbst schuldig, dass wir hier mehr tun."

Mehrere Minister von EU-Staaten kündigten ein härteres Vorgehen gegen Menschenschleuser an. In den Fokus rückt dabei das von Unruhen zerrissene Libyen, das Haupttransitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ist. Dort warteten rund eine Million Menschen auf die Überfahrt, sagte de Maiziere nach Angaben mehrerer Teilnehmer in der CDU-Bundesvorstandssitzung in Berlin. Er habe zudem von einer immer professionelleren Organisation der Schlepperbanden berichtet, die die Flüchtlinge teilweise per Smartphone-App an die Küste und zu den Booten leiteten.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte indes vor zu großen Erwartungen bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems. "Wir stehen vor einer gewaltigen Aufgabe, und eine ganz schnelle Lösung wird es nicht geben."

"Attacken gegen Menschenschmuggler"

Italien erwägt Angriffe gegen die Schlepper in Libyen. "Attacken gegen die Banden des Todes, Attacken gegen Menschenschmuggler gehören zu den Überlegungen", sagte Ministerpräsident Renzi am Montag in Rom. Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni sagte, bei der Flüchtlingsfrage gehe es um das Ansehen der EU. Sein Land könne aber nicht die Last allein tragen: "Wir können keine europäische Notsituation und eine italienische Antwort darauf haben."

Ein von der italienischen Regierung finanziertes Rettungsprogramm mit dem Namen "Mare Nostrum" ist inzwischen vom EU-Grenzschutzeinsatz Triton abgelöst worden. Dessen Einsatzgebiet ist nicht direkt vor Nordafrika, sondern knapp 60 Kilometer vor der italienischen Küste. Viele der maroden und überladenen Flüchtlingsboote kentern, bevor sie in das Einsatzgebiet gelangen.

Verantwortlich für Triton ist die Grenzschutzagentur Frontex, die sich aus Geld der EU-Mitgliedsländer speist und pro Jahr rund 90 Millionen Euro zur Verfügung hat. Triton startete vergangenes Jahr mit sieben Schiffen, zwei Flugzeugen und einem Hubschrauber. Der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat forderte zudem ein UN-Mandat für ein gezieltes Vorgehen gegen Schlepperbanden.

Laut einer Reuters vorliegenden EU-Statistik beantragten im vergangenen Jahr in Schweden, Ungarn und Österreich gemessen an der Bevölkerungszahl die meisten Menschen Asyl. Deutschland liegt von den 28 EU-Staaten auf Platz sechs. Die wenigsten Anträge wurden in Portugal, der Slowakei und Rumänien gestellt. Außenminister Kurz forderte, dass sich alle EU-Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen ihrer Verantwortung bewusst werden müssten.