80 Prozent der heimischen Gesetze sind 20 Jahre nach dem EU-Beitritt vom Unionsrecht beeinflusst. Der EU-Beitritt habe für das Rechtssystem überwiegend Positives gebracht, so OGH-Sprecher Christoph Brenn. Wesentliche Beispiele dafür seien etwa mehr Verbraucherrechte, verbesserte Rechte der Arbeitnehmer oder bei grenzüberschreitenden Fällen ein leichterer Zugang der Bürger zu den Gerichten.

"Unionsrecht wird immer wichtiger, der rein nationale Anteil an den einschlägigen Rechtsvorschriften wird immer weniger", sagte Brenn, Sprecher des Obersten Gerichtshofes (OGH) im Gespräch mit der APA. Es gebe zwar auch ein paar Kritiker, die die Verantwortung für nachteilige Auswirkungen, wie etwa beim Transit oder beim Zugang zu den Universitäten, gerne auf die Organe in Brüssel schieben würden. Die Union sei aber nicht "irgendein anonymes Gebilde", sondern eine Plattform für die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten. Jeder Mitgliedsstaat, also auch Österreich, habe die Möglichkeit sich bei den Verhandlungen einzubringen und seine Interessen durchzusetzen. Eine globale wirtschaftliche Zusammenarbeit sei ohne ein gesichertes Rechtssystem nicht möglich.

Für die Österreicher sei der Zugang zu den Gerichten wesentlich erleichtert worden. "Ich kann nun auch bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten einfach das zuständige Gericht, das für Verbraucher zumeist im Inland gelegen ist, ermittlen und kann mich auch darauf verlassen, dass das Urteil in jedem anderen Mitgliedstaat vollstreckt wird", erklärte Brenn. Vor dem EU-Beitritt war dies "irrsinnig mühsam und hat lange gedauert". Jetzt funktioniere die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten in den verschiedenen Mitgliedstaaten "standardisiert und schneller". Im Rahmen des europäischen justiziellen Netzwerks gebe es zudem in jedem Staat Kontaktstellen, die rasch per E-Mail für Auskünfte kontaktiert werden können.

Vorteil für Konsumenten

Mehr Verbraucherschutz für Konsumenten brachte etwa die Verbraucherrechte-Richtlinie, womit es vor allem einen verbesserten Rechtsschutz für den Online- und Versandhandel sowie für Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden, gibt. Reisenden, vor allem Flugpassagieren, stehen nun bei Verspätungen oder Stornierungen Entschädigungsansprüche zu. Die Gewährleistungsfrist für mangelhaft bewegliche Sachen wurde auf zwei Jahre ausgedehnt. Im Arbeitsrecht kam es durch mehrere Antidiskriminierungs-Richtlinien zu wesentlichen Gleichstellungen bei den Arbeitsbedingungen.

Neben den Änderungen durch Unionsrecht bei den Verbraucher- und Arbeitnehmerrechten gab es bei einer Reihe von weiteren Rechtsbereichen bedeutende Neuerungen. Darunter das Gewährleistungsrecht, das Lauterkeits- und Wettbewerbsrecht, das Urheber- und Markenrecht, das Banken- und Versicherungsrecht, das Produkthaftungs- und Schadenersatzrecht, das Erbrecht, das Ehe- und Kindschaftsrecht, die grenzüberschreitende Berufsanerkennung, das Umsatzsteuerrecht, Regelungen in Bezug auf die Abfallwirtschaft und Umweltverträglichkeit oder die grenzüberschreitende Beweisaufnahme und Zustellung von Klagen und Urteilen.

Wenn ein nationales Gericht Zweifel bei der Auslegung von Unionsrecht hat, muss es in Form eines "Vorabentscheidungsverfahren" eine Antwort des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) einholen. Österreichische Gerichte wandten sich seit dem EU-Beitritt bisher 443 Mal an den EuGH. Mit Ende 2013 waren es 429 Anfragen und damit war Österreich unter den Top 10. Die Hitliste führten Deutschland mit 2.050, Italien mit 1.227 und Frankreich mit 886 Vorabentscheidungsersuchen an. Bezogen auf die Bevölkerungsgröße lag Österreich 2012 sogar auf dem 2. Platz.

Vertrag von Lissabon

"Eine deutliche Zunahme der Vorabentscheidungsersuchen gab es seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wegen der Verbindlicherklärung der Grundrechtecharta. Speziell beim Rechtsschutz durch die EU-Grundrechte wird von den Gerichten derzeit häufig vorgelegt", so Brenn.

Die Dauer von der Vorlage bis zur Entscheidung des EuGH habe sich ab 2010 deutlich verkürzt und betrage rund 17 Monate. Es gibt auch die Möglichkeit eines Eilverfahrens, das durchschnittlich 40 bis 87 Tage dauert. In der Praxis wurde dieses bisher nur in grenzüberschreitenden Obsorge- und Kindesentführungsfällen und beim Europäischen Haftbefehl angewendet, erklärte Brenn.

Wenn es Grund zur Annahme gibt, dass ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen gemäß EU-Recht nicht nachkommt, gibt es das Instrument des Vertragsverletzungsverfahrens. Die Anzahl der Klagen gegen Österreich seit dem EU-Beitritt beträgt 136, womit man sich im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten in der ersten Hälfte befindet. Spitzenreiter sind Italien (638), Frankreich (412), Griechenland (389) und Belgien (376). Österreich wurde bisher aber noch nie zu einer Strafzahlung verurteilt, hieß es aus dem Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt auf APA-Anfrage.