Es sind die immer gleichen Bilder von brennenden Autos und Straßenschlachten zwischen der Polizei und der Jugend. 2008 in Paris, 2011 in London, 2013 in Athen, Madrid, erneut Paris und Stockholm. Und immer sind es die gleichen Motive der "verlorenen Generation": kein Job, keine Perspektive. Es bleiben Frust und Armut. Besonders hart trifft es die schlecht Gebildeten, die Migranten und die Jungen. Sie leiden unter dem Sparkurs. Es wächst die Gefahr von sozialen Unruhen. Die EU plant nun Milliardenhilfen für einen "Pakt für die Jugend". Vier junge Europäer erzählen stellvertretend für die neuen, jungen Wutbürger Europas ihr persönliches Leid.

Wir wollen eure Krise nicht bezahlen

"Vor allem die schlechte Arbeit der Regierungen ist schuld an der Krise", sagt Maria Ochoar auf dem Campus der Universität Complutense in Madrid. "Aber auch die Banken und die Gesellschaft, die über ihre Verhältnisse gelebt hat, haben zur Situation beigetragen." Die Journalismus-Studentin gehört zur jungen, verzweifelten Generation ohne Zukunft in Spanien, die am meisten unter der Krise leidet. Nach Lehre oder Studium einen Job zu finden, ist fast unmöglich. Und wer etwas findet, kommt selten über einen Lohn von 1000 Euro. Die meisten Spanier müssen daher den Traum vom Leben außerhalb des Elternhauses für lange Zeit begraben. Aber mit dem Frust wächst der Kampfgeist: "Wir wollen eure Krise nicht bezahlen", skandiert die Jugend bei den landesweiten Protesten.

© KK

"Von zwölf Leuten aus meinem Freundeskreis haben gerade einmal zwei eine Arbeit in Spanien gefunden", erzählt Maria. "Der Rest ist nach England und in die USA gezogen oder studiert weiter, nur um nicht arbeitslos zu sein." Obwohl viele Absolventen lieber arbeiten würden, denn sie kommen mangels Einnahmen kaum über die Runden. Maria kommt aus der Nähe der nordspanischen Stadt Pamplona, ihr WG-Zimmer in Madrid bezahlen ihre Eltern. "Ohne das Geld meiner Eltern wäre ich aufgeschmissen. Mit meinen Nebenjobs als Babysitterin und als freie Mitarbeiterin bei einer Regionalzeitung könnte ich mich nicht finanzieren." In diesem Sommer will sie ihren Abschluss machen. Ihre Zukunft sieht sie im Ausland: "Ich werde für ein Erasmus-Jahr nach London ziehen und nach meinem Studium dort Arbeit suchen." Auch ohne Wirtschaftskrise wäre Maria wohl nach London gegangen, um ihr Englisch zu verbessern. "Aber mit der Idee, wieder zurückzukehren", sagt sie. "Jetzt werde ich sicher dort bleiben, weil es keinen Sinn macht, in Spanien Arbeit zu suchen."

Trotzdem sieht Maria für ihr Land eine Chance: "Spanien wird sich erholen, aber es wird lange dauern." Und möglicherweise werden dann im Königreich manche Dinge nicht mehr so sein, wie in den blühenden Zeiten: "Ich bezweifle, dass wir zum Lebensstandard, den wir vor der Krise hatten, zurückkehren können."
Maria Ochoar (22), Madrid

Man ist einfach wertlos

Lisa kommt aus einer Stockholmer Arbeiterfamilie. Sie konnte im ursozialdemokratisch geprägten Schweden, wie fast alle schwedischen Arbeiterkinder, Matura machen und studierte danach Verhaltenswissenschaft. Doch dann begannen die Probleme. Lisa fand keine Arbeit, musste aus ihrer Studentenwohngemeinschaft in Uppsala zurück zu den Eltern nach Stockholm ziehen. Gelegentlich konnte sie über ihren Vater für die staatliche Wohnungsgesellschaft arbeiten. Jeden Tag verschickte die engagierte Frau individuell geschriebene Bewerbungen, ohne Erfolg. Zwei Jahre lang. Lisa geriet an verschiedene Stellen in derselben Zeitarbeitsfirma. "Man wurde wie der letzte Dreck behandelt, und eine berufliche Zukunft bieten die einem auch nicht", sagt Lisa. In Schweden haben sich unter sozialdemokratischen Regierungen die Zeitarbeitsfirmen auf dem gesamten Arbeitsmarkt ausgebreitet. Ausgerechnet die Arbeiterpartei schaffte mit ihnen alle Rechte ab, die Arbeiter jahrzehntelang genossen hatten. "Im Grunde ist man wertlos und völlig austauschbar", sagt Lisa.

Irgendwann hatte sie Glück. In der Wohnungsgesellschaft, in der ihr Vater arbeitet, wurde eine Vertretungsstelle in der Öffentlichkeitsarbeit frei. Nun hofft sie, dass sie mit den so wichtigen ersten Berufserfahrungen danach woanders einen festen Arbeitsplatz bekommt.
Lisa Lindwall (23), Stockholm; Nachname geändert

Traum von echter Arbeit

Valentina hat Literatur- und Theaterwissenschaften studiert. "Viele fragen sich nach so einem Studium: Und was mache ich jetzt? Ehrlich gesagt war das bei mir nie das Problem, weil ich immer irgendwelche Ideen hatte", erzählt die Römerin. "Wir müssen kreativ sein, uns mit wenig zufrieden geben und irgendwie arrangieren. Oder wir gehen ins Ausland. Das machen viele in meinem Alter, weil die Möglichkeiten in Italien so gering sind." Sie wollte in Rom bleiben und werde jetzt in den Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit oder den "Nicht Aktiven" geführt. Das sind diejenigen, die nach offiziell keine Arbeit suchen. Sie sucht keinen Job, fühle sich aber aktiv.

© KK

Nach dem Studium hat sie in Restaurants gejobbt. "Heute schlage ich mich anders durch, versuche, meine Interessen nicht zu vernachlässigen." Manchmal arbeitet sie bei Kultur- oder Integrationsprojekten mit, hat einen Master-Studiengang im Verlagswesen absolviert. Vor ein paar Jahren gründete sie mit drei Freundinnen einen Verlag. Finanziell bringt das kaum etwas. "Wir müssen Broschüren herausgeben, um den Laden am Leben zu erhalten." Alles in allem komme sie auf 600 Euro im Monat. Zum Glück haben ihre Eltern eine Einzimmerwohnung, in der sie gratis wohnen kann. "Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass aus dem Traum eines Tages eine Arbeit wird, die angemessen bezahlt wird und von der ich meinen Unterhalt bestreiten kann."
Valentina Fasola (28), Rom

Bin noch so jung und fühle mich schon am Ende

Seinen vollen Namen will Sakis nicht in der Zeitung sehen, auch nicht sein Foto. Der Grieche schämt sich. Er fühlt sich als Versager. Im Sommer schloss Sakis sein Politikstudium an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki ab. Seitdem sucht er Arbeit. "Mein Diplom ist nichts wert", stellt er niedergeschlagen fest. Die Hoffnung auf einen Job, der seiner Qualifikation angemessen ist, hat Sakis aufgegeben. Im April bot ihm ein Cafébesitzer an der Leoforos Nikis, dem beliebtesten Boulevard von Thessaloniki, einen Job als Kellner an, für 450 Euro im Monat - weniger als den staatlich garantierten Mindestlohn von 511 Euro. Sakis erbat sich 24 Stunden Bedenkzeit. Als er am nächsten Mittag zusagen wollte, zuckte der Besitzer mit den Schultern - der Job war vergeben. Sakis hat Schuldgefühle. Für sein Studium mussten die Eltern das Geld mühsam zusammenkratzen. Ferien konnte sich die Familie jahrelang nicht leisten. Jetzt liegt Sakis seinen Eltern wieder auf der Tasche. "Ich bin noch so jung - und fühle mich schon am Ende." Seit 2008 haben mehr als 150.000 Wissenschaftler ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Waren es in den 1960er-Jahren ungelernte Arbeiter aus den Dörfern Nordgriechenlands, die ins Ausland gingen, verliert das Land jetzt seine besten Talente. Auch Sakis denkt ans Auswandern - wenn er das Geld für einen Neustart auftreiben kann: "Vielleicht Amerika, Kanada oder Australien. Am liebsten ganz weit weg."
Sakis M. (24), Thessaloniki