Das von EU-Kommissar Siim Kallas geschnürte 4. Eisenbahnpaket wäre bei Umsetzung des Vorschlages für kleinere europäische Bahngesellschaften wie die ÖBB desaströs. Das sagte Vorstandsvorsitzender Christian Kern im Interview mit der "Wiener Zeitung" am Freitag. Im ORF Radio Ö1 sagte der oberste ÖBB-Weichensteller zur im Paket geplanten Personenverkehrsöffnung ab 2019, dies sei grundsätzlich positiv, es brauche zuerst aber "ein gleiches Spielfeld für alle Spieler", das es derzeit nicht gebe.

Integration der Eisenbahnmärkte

"Wir unterstützen die Integration der Eisenbahnmärkte", so Kern zur Zeitung. Der Vorschlag, dass Loks und Waggons zentral von der Europäischen Eisenbahnagentur in Frankreich die Zulassung erhalten sollen, gehe in die richtige Richtung. "Nationale Standards werden immer noch zur Marktabschottung eingesetzt. Wir hatten in Italien ein Problem mit der automatischen Türsteuerung und mussten auf der Strecke eine Zeit lang daher Busse einsetzen", erklärte Kern.

Laut Kern hat Kallas aber "zwei doch sehr zweifelhafte Thesen. Die Trennung der Eisenbahnunternehmen in Infrastruktur und Absatz würde die ÖBB hart treffen". Die konzerninterne Umstrukturierung käme zum Erliegen, so Kern. Ein interner Ausgleich von Mitarbeitern einzelner Töchter ist im Kallas-Vorschlag nicht möglich.

"Ein Schuss in den Ofen" wäre laut Kern auch die geplante Trennung der Eisenbahnen in Infrastruktur und Absatz. "Feuermauern zwischen diesen Bereichen ja, aber die EU-Vorschläge würden zu einer Disintegration führen."

Öffnung des Personenverkehrs

Die zweite für Kern zweifelhafte "These" von Kallas ist die vorgesehene Öffnung des Personenverkehrs. Der Wettbewerb müsse fair sein. "Wir haben uns in Bayern eine Strecke angeschaut und hätten dafür 250 Mio. Euro investieren müssen. Wenn einfach liberalisiert wird, bleiben 'big boys' übrig, wie die Deutsche Bahn oder die französischen Staatsbahnen." Diese würden einfach alles wegkaufen, so Kern. In Ö1 attestierte er diesem Vorschlag zwar eine "gewisse Logik", nannte ihn aber "aggressiv und viel zu schnell". Ein Ende der ÖBB schloss Kern deswegen aber aus - im Gegensatz zu "schmerzhaften Einschnitten im Unternehmen" und das "am Ende des Tages die Kosten beim Steuerzahler hängen bleiben".

Insgesamt mache es sich die Kommission zu einfach, so der ÖBB-Chef. Kern würde "erstens lange Übergangsfristen, um die nationalen Eisenbahngesellschaften auf den Wettbewerb vorbereiten zu können", geben. "Und dann in den Bestimmungen kleinere Lose, um auch kleineren Bahngesellschaften wie den ÖBB eine faire Chance zu geben, gegen die Großen zu bestehen." Dazu gehöre eine starke europäische Marktaufsicht, "weil eben manche Bahngesellschaften von ihren Staaten Entlastungen bekommen, die sie kapitalkräftig machen". Das historisch gewachsene Gefüge wie einen gordischen Knoten zu zerschlagen sei "keine Win-Win-Situation".

Zum Unternehmen selbst sagte Kern im Radio, er denke in Zehnjahreszeiträumen, wolle also etwa so lange ÖBB-Chef bleiben, habe keine Pläne in die Politik zu wechseln. Für die kommende Bilanz lege er die Latte noch höher, Sorgen bereitete aber vor allem die schwache Logisitik-Konjunktur. Seit rund fünf Jahren gebe es hier kein wirkliches Wachstum mehr. Immer weniger Güter kämen in Europa auf die Gleise, auf der Preisseite befänden sich die Kunden selbst zu sehr im Wettbewerb - es ziehe sich eine "Blutspur durch ganz Europa", sagte Kern. Er wünschte sich mehr Lenkung, damit europaweit 30 Prozent der Güter auf die Schiene kommen.

Die Auslastung solle steigen, eine Preiserhöhung schloss Kern nicht aus. Die Größenordnung mit 40.000 Mitarbeitern werde bei leichter Tendenz nach unten bleiben - die Altersstruktur wird in den kommenden Jahren, in denen es weniger Pensionierungen geben wird, allerdings steigen. Der Auslagerungsumfang sei "bescheiden". Pro Streckenkilometer hätten die ÖBB weniger Mitarbeiter als die SBB (Schweizerische Bundesbahnen) mit insgesamt nur rund 28.600 Bahnern.