David Camerons wegen der Geiselkrise in Algerien abgesagte Europarede schlägt Wellen. Labour-Politiker warfen Cameron vor, er verbreite Unsicherheit und setze sein Land mit einem Referendum auf den Weg eines EU-Austritts. Seinem Ruf nach Reformen schlossen sie sich aber an. Tory-Euroskeptiker Bill Cash dagegen forderte in einem Blog ein Referendum noch vor den Europawahlen 2014: "Der (mit Regulierung) überfrachtete gemeinsame Markt bringt weder Wachstum für unsere Wirtschaft noch eine Reduktion unseres Defizits".

Vorab verteilte Auszüge der Rede lassen offen, wie Cameron die Forderung eines Referendums formuliert hätte, bestätigen aber, dass es die EU-kritischste Rede geworden wäre, die ein britischer Premier je gehalten hat. US-Präsident Obama hatte ihn zuvor telefonisch vor einem Kurs gewarnt, der zum Austritt führen könne. Der Europapolitiker Guy Verhofstadt verglich Cameron mit einem Selbstmordbomber, der sich in die Luft sprengen wolle, "um seinen Willen zu bekommen". Camerons Kernaussage: Großbritannien akzeptiert das in den römischen Verträgen festgelegte Prinzip der "immer engeren Union" nicht mehr. Trotzdem will Cameron sein Land in der EU halten: "Ich stehe hier als ein Premier mit einer positiven Vision für die Zukunft der EU. Eine Zukunft, in der Großbritannien eine engagierte und aktive Rolle spielen will und spielen sollte". Er will für sein Land durchsetzen, dass Kompetenzen, in der Justizpolitik oder bei Arbeitszeitenregelungen, in umgekehrter Richtung fließen können - von Brüssel nach London.

Unter Bezug auf die Krise in Südeuropa hätte er in der Rede gewarnt: "Wenn wir diese Herausforderungen nicht bewältigen, besteht die Gefahr, dass Europa scheitert und das britische Volk auf den Ausgang zutreibt". Cameron handelt vor dem Hintergrund eines zunehmend EU-skeptischen Landes. Rund 50 Prozent der Briten würden für den Austritt stimmen, nur ein Drittel für den Verbleib. MATTHIAS THIBAUT, LONDON