Ein Amerikaner, Chef einer Weltfirma mit Sitz London, scherzte beim Lunch: "In zehn Jahren gehe ich zurück in die USA und werde Präsident. Mein Programm: Sezession der Ostküstenstaaten und Wiedervereinigung mit England."

Wenn er sich bei seinen englischen Gästen einschmeicheln wollte, traf er die Stimmung gut. Briten schauen wieder sehnsüchtig auf die Weltmeere. Die Staatskassen sind leer, die Wirtschaft ohne Saft, die Schotten sinnen auf Abspaltung, aber London strotzt vor Selbstbewusstsein und fühlt sich nach einem Sommer des Feierns als Hauptstadt der globalisierten Welt, offen für alle, Magnet für Entscheider und Trendsetter. Die Flaggen der Welt waren während Olympia in London zu Hause. Eine Europafahne war nirgends zu sehen.

"Ein Leben außerhalb der EU macht mir keinen Schrecken", erklärte der frühere Tory-Verteidigungsminister Liam Fox. Bildungsminister Michael Gove schlug vor, der EU ein klares Ultimatum zu stellen: "Gebt uns unsere Souveränität zurück, oder wir treten aus.". Premier David Cameron operiert vorsichtiger, aber auch er hält den Status quo für ungenügend, will eine Neuverhandlung der britischen Mitgliedschaft und ein Referendum über das Ergebnis irgendwann in der nächsten Legislaturperiode.

Furcht vor dem Superstaat

Hin und hergerissen zwischen Europa und dem offenen Meer waren die Briten immer. Nun wird es ihnen in Europa richtig ungemütlich. Denn die Eurokrise führt genau in den "Superstaat", gegen den schon Premierministerin Margaret Thatcher wetterte. Cameron selbst fordert die Fiskal-, ja politische Union zur Überwindung der Krise - aber nur für die Eurozone. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel will mehr Europa. Die Briten weniger, jedenfalls für sich.

Diese Woche schoss London die erste Salve ab. Innenministerin Theresa May bestätigte die Absicht der Briten, einen im Lissabon Vertrag vereinbarten Pauschalausstieg aus rund 130 EU Maßnahmen im Bereich Justiz und Inneres wahrzunehmen.

"Viele Minister halten die Beziehung zwischen der EU und Großbritannien für ungenügend. Das Gleichgewicht der Kompetenzen stimmt nicht", sagte der als maßvoll bekannte Verteidigungsminister Philip Hammond. Damit spielte er auf eine Generalbestandsaufnahme zwischen EU- und britischem Recht an, die Außenminister William Hague im Juli anordnete. Noch nie hat ein Land eine solche gigantische Kosten-Nutzen-Berechnung seiner EU-Mitgliedschaft aufgestellt, bei der es nicht nur um Geld, sondern auch Souveränität, Entscheidungsfreiheit, Flexibilität geht. Die Tories hoffen, dass dieser "Kassensturz" hilft, Verhandlungsziele zu definieren.

In Brüssel und Berlin verfolgt man das alles zunehmend frustriert. "Die Tories scheinen eine Freude an den Schwierigkeiten der Eurozone zu haben", klagte Kommissionschef José Manuel Barroso. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble schimpfte: "Man kann nicht eine rasche Lösung der Eurokrise fordern und dann jeden Schritt torpedieren, der die Fiskalpolitik in der Eurozone zusammenbringt."

In Wahrheit sucht Cameron nach einem Kompromiss, der ein radikaleres "Rein oder Raus" Referendum verhindern und Großbritannien in der EU und in dem wichtigen gemeinsamen Markt halten soll. Denn fände ein reines Austrittsreferendum jetzt statt, würde eine klare Mehrheit der Briten für den Abschied von Europa stimmen.

Die Briten sehen, wie die Krise für den "Power Grab", den Griff Europas nach Macht und Souveränität genützt wird, den sie lange bekämpft haben. In der Eurozone will man es nicht gerne hören, aber die Briten sagten ja alles haarscharf voraus: Dass eine Währungsunion ohne Vergemeinschaftung der politischen Strukturen nicht funktioniert, erst recht nicht, wenn die Mitgliedsländer so unterschiedlich wettbewerbsfähig sind. Der Euro werde "ein brennendes Haus ohne Ausgänge", prophezeite der damalige Tory-Parteichef William Hague 2001. Und Margaret Thatchers warnte bereits 1993 in ihren Memoiren, dass Griechenland als Erstes verlangen werde, von Deutschland gerettet zu werden. Viele Euroskeptiker verzweifeln sogar am Binnenmarkt, der eigentlichen Erfolgsstory der EU. Sie sehen ihn als Fessel und Reguliermaschine, die zu Protektionismus führt und Britanniens Rolle im Welthandel bremst. "Wir sind an eine Leiche gekettet", so der Skeptiker Douglas Carswell.

Die Partner haben allerdings wenig Neigung, auf britische Sonderwünsche einzugehen. "Großbritannien hat sich auf eine "immer engere Union" verpflichtet, wenn es die Verträge nicht einhalten will, muss es austreten", so ein hoher deutscher Diplomat. Aber Berlin weiß, dass Großbritannien ohne solche Verhandlungen früher oder später in den Atlantik abdriften wird. Der Nordblock würde ein Gegengewicht zu den südlichen Schuldenstaaten und zu Frankreichs antiliberalen und protektionistischen Tendenzen verlieren.

Flexible Lösungen

Auf britischer Seite sieht man die Parallele der "britischen Union", zwischen Schottland und der Londoner Zentralregierung. Wenn sich die Befürworter des Vereinigten Königreichs gute Chancen für einen Sieg im schottischen Unabhängigkeitsreferendum 2014 ausrechnen, dann, weil London mit den Schotten seit 20 Jahren über die "Rückgabe von Souveränitätsrechten" verhandelt und Schottland in dieser Zeit ein Parlament, eine eigene Regierung, Budgetrechte und vieles mehr zurückgegeben hat.

Die Briten, so Cameron, wollen die Schotten in der Union, aber nur, wenn diese sich dabei wohlfühlen. Briten nennen diese Haltung, bei der man versucht, die Wünsche und Bedürfnisse beider Seiten mit flexiblen Lösungen unter einen Hut zu bringen, "reasonable" - vernünftig.