Es gibt diesen einen Gesichtsausdruck von Angela Merkel, den all jene fürchten, die den Zorn der Kanzlerin auf sich gezogen haben. Dann zieht sie die Stirn krauss, lässt die Mundwinkel besonders tief sinken und verengt die Augen zu einem Blick, der sagt: Jetzt hast du verloren. Diesen Blick musste Nicolas Sarkozy ebenso erdulden wie Silvio Berlusconi oder ihr sozialdemokratischer Vorgänger Gerhard Schröder nach der Wahl 2005, aber auch etliche Partei-Kontrahenten kennen diesen Blick zur Genüge: Koch, Merz, Müller, Oettinger, Mappus, Wulff, die Reihe derer, die aus der CDU auf den unterschiedlichsten Wegen in der Versenkung verschwunden sind, ist lang.

Es ist eine kuriose Situation: Merkel ist auf dem Zenit ihrer Karriere, angesehen im eigenen Land und selbst in den Deutschland-skeptischen Nachbarländern hat sie sich Respekt erarbeitet. Und dennoch ist sie inzwischen allein im Haus Europa. Die anderen Regierungs- und Staatschef, mit denen sie seit vielen Monaten die Krise abwehren musste, sind mittlerweile allesamt entmachtet. Und nun droht ihr das gleiche Schicksal. Denn ihre Partei zerlegt sich seit längerem selbst, der Koalitionspartner FDP existiert unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und nur die Schwäche der Sozialdemokraten verhindert, dass die Deutschen eine echte Wechselstimmung erzeugen wollen. Es ist einsam um die Kanzlerin geworden und die CDU zu einer Ein-Frau-Partei.

Dabei ist Merkel schon auf der Ziellinie, das Prädikat "große Kanzlerin" zu bekommen. Sie hat die Macht Deutschlands in der Welt gemehrt, hat die Energiewende herbeigeführt, die Schuldenpolitik in Deutschland und Europa neu strukturiert und nebenbei auch ihre Partei inhaltlich ins 21. Jahrhundert geführt.

Dennoch könnte sie selbst über ihren eigenen Erfolg stolpen und dieses Stolpern könnte am Sonntag im bevölkerungsreichsten Bundesland beginnen. Denn dort werden aller Voraussicht nach Sozialdemokraten und Grüne aus einer Minderheits- eine Mehrheitsregierung machen können. Die Wahl könnte zum Desaster für die CDU werden, an dem ihr Spitzenkandidat Norbert Röttgen als halbherziger Wahlkämpfer entscheidenden Anteil hat.

Es wäre auch für Merkel eine Niederlage, Zum einen weil der Bundesumweltminister bislang als Musterschüler von Merkel und somit als einer ihrer potenziellen Nachfolger galt und zum anderen, weil dieser die Wahl zu einer Abstimmung über ihrer Europapolitik ausgerufen hat. Das hat die Kanzlerin zwar vehement und reflexartig zurückgewiesen, aber es stand für die Wähler erst einmal im Raum und wird auch - glaubt man den Umfragen - dankbar als solche angenommen.

Auf Partner kommt es an

Viel wichtiger wird aber die Frage, ob die FDP bei dieser Wahl in den Landtag in Düsseldorf zurückkehrt. Das mag unter ihrem Spitzenkandidaten Christian Lindner möglich sein, doch sollte er sein ehrgeiziges Ziel verfehlen, dann droht den Liberalen der Zerfall, immerhin hat Lindner auch Ambitionen auf den Parteivorsitz. Verfehlt die FDP den letzten Zug, um noch einmal in höhere Sphären aufzusteigen, könnte auch Merkel im kommenden Herbst bei der Bundestagswahl der einzige mögliche Partner in Berlin fehlen, der für eine Mehrheit rechts der bürgerlichen Mitte sorgen kann. Trotz eigener Erfolgszahlen, trotz blendender Zahlen in der deutschen Wirtschaft, trotz ihrer Bemühungen um den Zusammenhalt Europas, könnte es nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen für Merkel eng werden.

Bisher ist sie allerdings noch immer aus ihren Niederlagen gestärkt hervorgegangen. Aber auch aus den Niederlagen ihrer außenpolitischen Weggefährten lernt sie schnell. Nach der Wahlschlappe von Sarkozy beginnt sie nun ihre eigene rigorose Sparpolitik vorsichtig zu überdenken.

Wandel der Rhetorik

Zumindest ändert sie ihre Rhetorik. Statt nur vom Sparen zu reden, legt sie mehr Wert auf Wachstum - doch nicht mit neuen Schulden, sondern durch Strukturreform. Sie will nun den europäischen Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin um Wachstums-Anreize erweitern und reagiert damit auf die Politik des künftigen französischen Präsidenten François Hollande. Der Fiskalpakt selbst, so betont Merkel, stehe aber "nicht zur Diskussion". Es ist Merkels typische freundliche Härte. Jeder wird sein Gesicht wahren können und die Energie auf das Wesentliche konzentrieren.

Porträt Seite 9