Die Einstufung der Massaker an den Armeniern als Völkermord durch den Deutschen Bundestag hat heftige Reaktionen der Türkei ausgelöst. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte, die am Donnerstag verabschiedete Resolution werde "ernste" Folgen für die deutsch-türkischen Beziehungen haben.

Die Regierung in Ankara rief umgehend den türkischen Botschafter aus Berlin zurück und bestellte den deutschen Vertreter in Ankara ein.

Die Resolution, die von Union, SPD und Grünen eingebracht wurde, wurde mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert nach einer rund einstündigen Debatte am Donnerstag feststellte.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hat die Resolution des Deutschen Bundestages zuvor erneut kritisiert. Die Abstimmung sei "absurd", sagte Yildirim vor Journalisten in Ankara. "Man sollte die Geschichte den Historikern überlassen", fügte er hinzu. Ein Scheitern des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei wegen der Parlamentsentscheidung schloss er aus.

Nach der Entscheidung des Deutschen Bundestages zu den Völkermord an den Armeniern hat die türkische Regierung jedoch prompt den Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Ankara ins türkische Außenamt zitiert. Das Gespräch ist für heute nachmittag geplant.

In der Resolution werden die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor hundert Jahren, bei denen bis zu 1,5 Millionen Armenier sowie Aramäer und Angehörige weiterer christlicher Minderheiten ums Leben gekommen waren, als Völkermord eingestuft. Bei der türkischen Regierung löste das Vorhaben Empörung aus. Präsident Recep Tayyip Erdogan appellierte am Dienstag an den "gesunden Menschenverstand" Deutschlands und warnte vor einer Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen.

"Keinerlei Bedeutung für Türkei"

Yildirim rechnet zwar ebenfalls mit "negativen Auswirkungen" auf das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei, aber nicht mit weitreichenden Folgen. Die Resolution habe für die türkische Regierung "keinerlei Bedeutung", sie halte sie für "null und nichtig", sagte der Ministerpräsident am Mittwoch. Der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei werde wegen der Armenier-Resolution nicht scheitern.

Die Regierung in Ankara hatte in den vergangenen Jahren stets mit scharfer Kritik und diplomatischen Schritten auf die Anerkennung der Massaker an den Armeniern als Völkermord reagiert. Bisher haben dies mehr als 20 Staaten getan, darunter Frankreich, Italien und Russland.

Die Türkei nimmt seit April im Rahmen eines Abkommens mit der EU Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück. Die ungesteuerte Migration durch die Ägäis in die Europäische Union ist dadurch fast zum Stillstand gekommen. Wegen eines Streits über die im Gegenzug zugesagte Visafreiheit für Türken in der EU hat Ankara allerdings mehrfach gedroht, den Pakt aufzukündigen.

Merkel unterstützt Resolution

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel unterstützt die umstrittene Parlamentsresolution zur Einstufung der Massaker an den Armeniern durch das Osmanische Reich als Völkermord. An der Abstimmung nahm sie aber aus Termingründen  nicht teil, ebenso wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Vizekanzler Sigmar Gabriel (beide SPD).

Bei den Massakern an den Armeniern 1915 kamen Schätzungen zufolge zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben. Die Türkei als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reichs hat das bedauert, bestreitet aber, dass es sich um Völkermord gehandelt habe. Die türkische Regierung hat das deutsche Parlament mehrfach vor der geplanten Resolution gewarnt.

"Beitrag zur Versöhnung"

Die  Verabschiedung der Völkermord-Resolution sei ein "Beitrag zur Versöhnung", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin". "Wir anerkennen auch ausdrücklich, dass die Türkei in der Flüchtlingsfrage Unglaubliches leistet", betonte Kauder mit Blick auf die scharfe Kritik aus Ankara. "An der Benennung des unsäglichen Leids, das über die Armenier gebracht wurde, kann dies nichts ändern", fügte der CDU-Politiker hinzu.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland sieht nur eine "Politshow" mit negativen Folgen für das ohnehin schwierige deutsch-türkische Verhältnis. "Durch die Resolution wird eine historische Frage mit der Tagespolitik vermischt, die zunächst wissenschaftlich aufgearbeitet werden müsste", sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Gökay Sofuoglu, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Juristisch und historisch sei das Thema zu wenig beleuchtet.

"Geschützter Raum für Erinnerung"

Die Zentralratsvorsitzende der Armenier, Jaklin Chatschadorian, hat die Abstimmung hingegen als wichtiges Signal bezeichnet. Dass das Parlament mit der Resolution auch die "deutsche Mitschuld" an den Ereignissen vor mehr als hundert Jahren klar benenne, sei aus historischer Sicht "richtig und wichtig", sagte Chatschadorian am Donnerstag im Südwestrundfunk (SWR).

Für die Armenier in Deutschland habe die Anerkennung des Massakers an den Armeniern als Völkermord aus zwei Gründen große Bedeutung. Zum einen sei sie die "notwendige Antwort auf die professionalisierte Leugnungspolitik der Türkei". Zum anderen schaffe sie einen "geschützten Raum für die Erinnerung der Opfer", sagte Chatschadorian. Die Nachkommen der Opfer kämen durch die Resolution "heraus aus der Position der Rechtfertigung".