Nach Vorwürfen gegen einen Parlamentarier haben mehr als 500 Politiker und Aktivisten ein kollektives Schweigen über sexuelle Belästigung in der französischen Politik angeprangert.

Nichts unternommen

"Es ist für Frauen generell schwierig, über diese Art von Gewalt zu sprechen, aber im politischen Mikrokosmos ist dies zweifellos verstärkt", heißt es in einem Aufruf, der am Dienstag in der Zeitung "Liberation" veröffentlicht wurde. Hinter vorgehaltener Hand seien Übergriffe oft bekannt, es werde aber nichts dagegen unternommen.

Rücktritt und Verleumdungsklage

Der Vizepräsident der französischen Nationalversammlung, Denis Baupin, hatte am Montag sein Amt zur Verfügung gestellt, nachdem ihm Medien unter Berufung auf mehrere Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten. Die Pariser Staatsanwaltschaft nahm am Dienstag Vorermittlungen auf. Baupin bestreitet die Vorwürfe und kündigte eine Verleumdungsklage gegen die Journalisten an.

Zu den Unterzeichnern des Aufrufs in "Liberation" zählen die frühere konservative Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot sowie die Grünen-Politikerin und ehemalige Wohnungsbauministerin Cecile Duflot. Vor einem Jahr hatten bereits 40 Journalistinnen sexistisches Verhalten politischer Verantwortlicher in Frankreich kritisiert.

"Wie alle Frauen, die in Bereiche gelangt sind, die früher reine Männerdomänen waren, haben wir unter Sexismus gelitten und dagegen gekämpft", heißt es in dem Appell. "Es ist nicht Aufgabe der Frauen, sich an diese Milieus anzupassen, es sind die Verhaltensweisen bestimmter Männer, die sich ändern müssen." Die Ex-Ministerinnen erklärten weiter: "Es reicht. Es ist vorbei mit der Straflosigkeit. Wir werden nicht länger schweigen."

Die Unterzeichnerinnen ermutigten alle Opfer sexueller Belästigung und sexueller Angriffe, Anzeige zu erstatten. Zudem forderten sie ihre jeweiligen Parteien auf zu prüfen, inwiefern es solche Vorfälle gegeben hat und gegebenenfalls den Opfern zu helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Verjährungszeit in Fällen von sexueller Belästigung müsse verlängert werden.

Frauenrechtsministerin Laurence Rossignol begrüßte den Schritt der Ex-Ministerinnen. Männer sollten "uns Frauen rein im professionellen Sinne sehen - als die Chefinnen oder Kolleginnen, die wir sind. Hört auf, uns die ganze Zeit als mögliches Freiwild anzusehen!" sagte sie im Sender France 3. Ministerpräsident Manuel Valls versicherte den Unterzeichnerinnen im Kurzmitteilungsdienst Twitter seine Unterstützung.

Andere Kommentatoren waren weniger einsichtig: Die frühere Wohnungsbauministerin Cecile Duflot veröffentlichte einige sexistische Reaktionen, die sie nach der Veröffentlichung des Aufrufs erhalten hatte. "Duflot belästigt? Der Typ muss besoffen gewesen sein", hieß es darin oder "Abgesehen von (der früheren Sportministerin Chantal) Jouanno - wer würde diese Frauen belästigen wollen, haha?"

Vergangene Woche war der Vizepräsident der französischen Nationalversammlung zurückgetreten, der Grünen-Politiker Denis Baupin. Zuvor hatten ihm acht Frauen, darunter vier Abgeordnete, vorgeworfen, sie sexuell angegriffen oder mit anzüglichen SMS bombardiert zu haben.

Daraufhin geriet auch Finanzminister Michel Sapin in Bedrängnis, weil er eine Journalistin unsittlich berührt haben soll. Der Sozialist räumte zwar "unangebrachtes" Verhalten ein und äußerte sein Bedauern, bestritt im Detail aber die zuvor von Journalistinnen verbreitete Version des Vorfalls. In einem kürzlich erschienenen Buch heißt es, der heute 64-Jährige habe gegenüber einer Reporterin Anfang 2015 eine anzügliche Bemerkung gemacht und das Gummibündchen ihres Slips "schnalzen lassen".