Es war schon Feierabend, die Büros im Sitz der Grünen Partei leerten sich. Da wurde die Angestellte, die ihren Namen aus Rücksicht auf ihr Privatleben nicht nennen will, vom Abgeordneten Denis Baupin unter einem Vorwand gebeten, noch schnell in sein Büro zu kommen. Sie folgte ihm, trat ins Büro. "Da sprang er mich wie eine Krake an", erzählte die Frau gestern einem französischen Radiosender. "Er versuchte mit allen Mitteln, mich zu küssen. Ich musste kämpfen." Und der Vorwand sei völlig frei erfunden gewesen.

Frankreichs Frauen reicht es
Frankreichs Frauen reicht es © APA/AFP/DOMINIQUE FAGET

In Panik sei sie aus dem Büro geflüchtet, erzählte die Frau. Anders die frühere Parteimanagerin Geneviève Zdrojewski: Sie erklärte, Baupin habe sie am Klo gegen eine Wand gedrückt, darauf ihre Brüste gepackt und sie zu küssen versucht. Auch sie rettete sich, sprach aber vorerst nicht darüber: "Das ist zu erniedrigend."

Gegen die Wand gedrückt

Auch Sandrine Rousseau hat ihr Schweigen gebrochen. Die Sprecherin der französischen Grünen berichtet von einem Vorfall beim Parteitreffen im Oktober 2011: Damals soll Denis Baupin sie gegen eine Wand gedrückt, sie an der Brust festgehalten und versucht haben, sie zu küssen. Als sie einen Parteifreund darüber informiert habe, habe der geantwortet: "Ah, hat er wieder damit angefangen?" Darüber berichtet das Magazin Spiegel.

Tägliche Belästigung mit SMS

Eine weitere Abgeordnete, Isabelle Attard, berichtete von "einer fast täglichen Belästigung mit provokanten, anzüglichen SMS", die sie vom damaligen Vizepräsidenten der französischen Nationalversammlung erhalten habe. Baupin streitet alle Vorwürfe ab. Als Vizepräsident der französischen Nationalversammlung ist er allerdings zurückgetreten.

Beide Politikerinnen haben nun ausgesprochen, worüber zuvor in der französischen Politik ihrer Meinung nach zu wenig geredet wurde. Damit haben sie eine Welle der Entrüstung ausgelöst: Mehr als 500 Politiker und Aktivisten prangern zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs ein kollektives Schweigen über sexuelle Belästigung an.

Vorwürfe gegen Finanzminister Sapin

In dem Buch "Élysée Off" erzählen zwei Autoren, wie Finanzminister Michel Sapin am Weltwirtschaftsforum in Davos zu einer Journalistin, die gerade ihren Kugelschreiber vom Boden aufgelesen habe, scherzhaft gesagt habe: "Oh, was zeigen Sie mir denn da?" Darauf habe er das Band ihres Slips angehoben und schnalzen lassen. Sapin, ein Schwergewicht der Regierung, bestreitet jede sexistische Handlung, entschuldigt sich aber, den freiliegenden Rücken der Frau berührt zu haben.

Manifest gegen sexuelle Gewalt

Dieses "Stringgate", wie sich die Presse ausdrückt, und die Baupin-Affäre haben nun 17 ehemalige Ministerinnen bewogen, sich in einem Manifest zu äußern. "Wie alle Frauen, die in ein früher ausschließlich männliches Milieu gelangt sind, haben wir Sexismus ertragen und dagegen kämpfen müssen", erklären etwa die Sozialistin Élisabeth Guigou, die Konservative Nathalie Kosciusko-Morizet, die Grüne Cécile Duflot oder die derzeitige Währungsfondschefin Christine Lagarde. "Wir ermutigen alle Opfer sexueller Belästigung oder Aggression zu reden und Klage einzureichen." Im Fall Baupins hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Die Vorwürfe sind zum Teil jahrealt und verjährt.