Nach der Verurteilung des früheren Präsidenten der Republika Srpska Radovan Karadzic zu 40 Jahren Haft steht eine Woche später nun die Entscheidung gegen den serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj an. Das Urteil des vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien erfolgt am Donnerstag in Abwesenheit des 61-jährigen Angeklagten.

Parallel zur Verlesung des Urteils gegen Karadzic in der vergangenen Woche hatte Seselj in Belgrad eine Protestversammlung veranstaltet. Seinen rund 5.000 Anhängern rief er dabei zu, das Urteil gegen Karadzic wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei "gegen das ganze serbische Volk und seine Geschichte" gerichtet.

Urteil fällt in Abwesenheit

Zwei Wochen zuvor hatte Seselj in der serbischen Hauptstadt öffentlichkeitswirksam Flaggen der Europäischen Union und der NATO verbrannt. Bei dieser Gelegenheit bekräftigte er, dass er nicht zur Urteilsverkündung vor dem Haager Tribunal erscheinen werde. 2014 hatte das Gericht Seselj erlaubt, zur Behandlung seiner Krebskrankheit nach Serbien zurückzukehren. Seitdem weigert er sich, nach Den Haag zurückzukehren. Dort werden ihm Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Zeit der Balkankriege Anfang der 90er-Jahre vorgeworfen.

Seselj, der sich in Den Haag selbst verteidigte, gilt als "Chefpropagandist von Groß-Serbien". Dieser Wunsch-Staat hätte Serbien, Montenegro, Mazedonien und große Teile Kroatiens sowie Bosnien-Herzegowinas umfassen sollen. Seselj habe Gewalt gegen alle Nicht-Serben gepredigt und mit seinen Hassreden den Balkan in Brand gesetzt, heißt es in der Anklageschrift. Das UN-Tribunal wirft Seselj zudem Zwangsvertreibung, Folter, Mord und Zerstörung von religiösen Gebäuden sowie Schulen vor.

Seselj stellte sich selbst

Während andere vor dem UN-Tribunal angeklagte serbische Politiker in den Untergrund abtauchten, um sich der Justiz zu entziehen, stellte sich Seselj selbst und zog hoch erhobenen Hauptes nach Den Haag. Sein Recht auf Selbstverteidigung setzte der Chef der Serbischen Radikalen Partei (SRS) mit einem Hungerstreik durch. Einer seiner Zellennachbarn war Slobodan Milosevic, der 2006 im Gefängnis gestorbene ehemalige jugoslawische Präsident. Bis zu Milosevics Sturz im Oktober 2000 war Seselj Vize-Regierungschef.

Eine solche Karriere war Seselj nicht unbedingt vorgezeichnet: 1954 in Sarajevo geboren, studierte er dort Jus und Soziologie. Später lehrte er an der Universität seiner Heimatstadt Soziologie. Ende 1981 wurde er aus dem Bund der Kommunisten ausgeschlossen, woraufhin er sich zunehmend serbisch-nationalistischem Gedankengut zuwandte. Wegen "konterrevolutionärer Gefährdung der Gesellschaftsordnung" war er Mitte der 80er-Jahre fast zwei Jahre lang inhaftiert. 1990 gründete er die Radikale Partei.

Anführer serbischer Ultranationalisten

Berühmt-berüchtigt wurde Seselj als Anführer einer ultranationalistischen serbischen Miliz, die seit 1991 an der Seite serbischer Rebellen gegen Kroaten und Bosnier kämpfte. Den Kosovo-Konflikt wollte er binnen fünf Tagen durch die Ausweisung alle ethnischen Albaner ohne gültige Papiere "lösen".

2003 stellte sich der ehemalige Abgeordnete freiwillig dem Haager Tribunal, das er bis heute nicht anerkennt. Der Prozess begann 2006, wurde aber schon bald unterbrochen und dann von 2007 bis 2012 fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Schlussplädoyer 28 Jahre Haft für den Angeklagten.

2014 erlaubte das Gericht Seselj zur Behandlung seiner Krebskrankheit nach Serbien zurückzukehren. Derzeit macht er Wahlkampf als Spitzenkandidat seiner Partei. Die vorgezogene Parlamentswahl in Serbien ist für den 24. April angesetzt.