Irland hat gewählt - und das Ergebnis "Erdbeben" oder "Vulkanausbruch" zu nennen, wie es in den Medien auf der grünen Insel tun, ist fast noch zu wenig. Die politische Landschaft erlebt eine historische Umwälzung.

Die Mitte-Links-Koalition aus Fine Gael und Labour, die seit 2011 regiert, kann Wachstum und stark gesunkene Arbeitslosenzahlen nachweisen. Doch die Parlamentswahl vom Freitag - darauf weisen Wählerbefragungen und erste Zahlen hin - ist eine schallende Ohrfeige für beide. Die Folge könnte sein, dass nun historische Feinde erstmals gemeinsame Sache machen müssen.

Ohrfeige für Arroganz

Das Wahlversprechen fortdauernden Aufschwungs, das die Regierung unter Ministerpräsident Enda Kenny gegeben hat, empfanden viele Iren als Arroganz. Denn längst nicht alle merken etwas von der Erholung nach der Wirtschafts- und Finanzkrise, während der Irland unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen musste. Seitdem gilt das Land im Ausland als "Musterschüler" unter den Krisenländern, Folge eines harten Sparkurses.

Aber auch die größte der Oppositionsparteien, Fianna Fail, kann mit ihrer Prognose eigentlich nicht zufrieden sein. Zum ersten Mal in der fast 100-jährigen Geschichte der Republik Irland könnten Fine Gael und Fianna Fail, die beiden historisch verfeindeten sogenannten Bürgerkriegsparteien, gemeinsam nicht einmal die Hälfte der Wählerstimmen für sich verbuchen.

Den bisher vorliegenden Befragungen zufolge ist eigentlich nur eine stabile Koalition in Dublin möglich: Fine Gael mit Fianna Fail. Aufgrund des Wahlsystems zieht sich die Auszählung hin, die Sitzverteilung kann vom Stimmanteil der Parteien deutlich abweichen.

Doch die ersten vorliegenden Zahlen scheinen zu bestätigen, was die Strategen beider Parteien hinter vorgehaltener Hand schon zugeben: Wenn am Sonntag oder auch erst am Montag alle Stimmen gezählt und alle Stimmentransfers verbucht sind, werden die bisherigen Erzfeinde möglicherweise Geschichte schreiben und Koalitionsverhandlungen aufnehmen müssen. Die Alternative wären Neuwahlen. Allererste Gespräche der Parteien soll es aber erst am Montag oder Dienstag geben.

Sowohl Premier Kenny von Fine Gael als auch sein Gegenüber Micheal Martin von Fianna Fail hatten vor der Wahl eine Koalition ausgeschlossen. Zu schwer wiegt der Ballast der Geschichte des Bürgerkriegs, in dem sich die Vorväter beider Parteien vor der Gründung des Irish Free State im Jahre 1922 als Gegner gegenüber standen. Zu heftig waren die Anfeindungen in jedem Wahlkampf seit Gründung der Republik.

Stets war es der einen oder anderen Partei möglich gewesen, mithilfe kleinerer Partner eine Regierung zu bilden. Doch die Schockwellen dieser Wahl schlagen so hoch, dass beide Lager die neue Situation kaum ignorieren könnten.

Stabilität gefragt

Also eine Große Koalition aus Fine Gael und Fianna Fail? So unsinnig wäre das gar nicht. Zum einen sind beides Mitte-Rechts-Parteien, deren Wahlprogramme nicht weit voneinander entfernt sind. Zum anderen blickt die Wirtschaft einzig und allein auf die Stabilität Irlands.

Multinationale Firmen wie Microsoft, Apple, Google oder Pfizer haben Milliarden investiert und Zehntausende Arbeitsplätze geschaffen. Die Amerikanisch-Irischen Industrie- und Handelskammer hatte vor der Wahl warnend darauf hingewiesen, dass mobile Unternehmen die mühsam errungene Stabilität nicht nur benötigen, sondern einfordern - und andernfalls abwandern könnten.

Auch die Partner in Europa, die Irland als Musterknaben unter den Schuldensündern loben, pochen auf Stabilität. Neuwahlen statt einer funktionsfähigen Koalition? Damit kann sich eigentlich kein irischer Politiker in Brüssel blicken lassen.