Die EU droht in der Flüchtlingspolitik im Chaos zu versinken. Bei Beratungen der Innenminister traten am Donnerstag in Brüssel die Differenzen offen zutage. "Wir steuern irgendwie in die Anarchie hinein", sagte der Luxemburger Jean Asselborn. EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos warnte vor einem Zerfall des Schengen-Systems. Athen berief wegen der Abschottungspolitik seinen Botschafter aus Wien ab.

Bei dem Ministertreffen ging es vor allem um den Coup Österreichs, das sich am gestrigen Mittwoch in Wien mit den Westbalkan-Staaten auf eine Abriegelung der Balkanroute verständigt hatte. Griechenland reagierte empört und drohte eine Vetopolitik innerhalb der Europäischen Union an. Aus Protest gegen das österreichische Vorgehen berief Athen am Donnerstag seinen Botschafter aus Wien zurück. In einer Erklärung kritisierte das griechische Außenministerium, dass Alleingänge einzelner Mitgliedsstaaten "die Grundlage und den Prozess der europäischen Integration unterlaufen" könnten.

Das österreichische Außenministerium reagierte kühl auf den diplomatischen Protest. "Österreich kann die Anspannung in Griechenland nachvollziehen, nachdem der Druck auf Griechenland steigt, an einer Eindämmung des Flüchtlingsstroms mitzuwirken", hieß es am Mittwoch in einer Stellungnahme per Email gegenüber der APA. Die Abberufung sei eine "Chance", weil die Botschafterin nun die griechischen Verantwortlichkeiten "über die Situation und Herausforderungen für die Zielländer der Flüchtlingsroute wie Österreich informiert".

Konferenz ohne Griechen

Als einziges Land der Region war Griechenland nicht zur Teilnahme an der Konferenz geladen gewesen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) begründete dies damit, dass Athen bisher nur an einem Weitertransport der Flüchtlinge interessiert gewesen sei. Allerdings zeigte sich am Donnerstag auch Bundespräsident Heinz Fischer verwundert über die Nicht-Teilnahme Athens an der Westbalkan-Konferenz. "Was die Zusammensetzung der Teilnehmer betrifft, war ich überrascht, dass Griechenland nicht dabei war, und das ist auch angesprochen worden", so Fischer mit Blick auf sein überraschendes Treffen mit der Regierungsspitze am gestrigen Mittwochabend.

Die EU und Deutschland bekräftigten ihre Kritik an Österreich. "Einzelne Initiativen führen nirgendwo hin", sagte EU-Kommissar Avramopoulos in Brüssel. Er sprach von einem "kritischen Augenblick", es blieben nur noch zehn Tage zur Lösung der Krise. Ohne "greifbare und klare Ergebnisse" bestehe die Gefahr, "dass das ganze System vollständig zusammenbricht". Mit Blick auf Griechenland sagte er, "die Möglichkeit einer humanitären Krise großen Ausmaßes ist sehr real und nah bevorstehend".

Unterdessen hat die europäische Lösung auch für Deutschland ein Ablaufdatum bekommen. Sollte es bis zum EU-Sondergipfel mit der Türkei am 7. März keine Ergebnisse geben, "muss man andere gemeinsame europäisch koordinierte Maßnahmen" beschließen, sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere, der "trotz unterschiedlicher Auffassungen" die "gute Zusammenarbeit" mit Österreich betonte. In Berlin beschloss der Bundestag - mit vielen Gegenstimmen aus den Reihen der SPD - Verschärfungen der Asylpolitik wie schnellere Asylverfahren, eine Begrenzung des Familiennachzugs sowie die leichtere Abschiebung von straffälligen Asylbewerbern.

Mikl-Leitner bleibt hart

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) verteidigte die österreichische Obergrenzen-Politik. Sie habe "klargemacht, dass wir von den Beschlüssen nicht abrücken werden", sagte Mikl-Leitner in Brüssel. Es gehe darum, "Schritt für Schritt den Migrationsstrom zu bremsen". Österreich habe kein Verständnis dafür, dass die EU-Außengrenze Griechenlands nicht geschützt werde, sagte sie mit Blick auf entsprechende Aussagen ihres Athener Amtskollegen. "Ich sage offen und ehrlich, wenn Griechenland immer wieder betont, dass es nicht möglich ist, die Außengrenze zu schützen, muss man sich fragen, ob dort letztlich auch die Schengen-Grenze sein kann."

"Griechenland wird es nicht hinnehmen, Europas Libanon zu werden", sagte der griechische Innenminister Ioannis Mouzalas. Er drohte, auch Athen könne in der Flüchtlingskrise nicht abgestimmte Maßnahmen ergreifen. Unter den Migranten in Griechenland machte sind indes Panik breit, weil das nördliche Nachbarland Mazedonien nur noch wenige Hundert Menschen täglich einreisen lässt. Hunderte von ihnen brachen aus Auffanglagern aus und machten sich am Donnerstag zu Fuß auf den Weg zur mazedonischen Grenze. Die Behörden erklärten sich machtlos. Während Skopje am Donnerstag nur 230 Flüchtlinge ins Land ließ, zählte Griechenland in den vergangenen sieben Tagen mehr als 12.000 Neuankünfte in der Ägäis. Verteidigungsminister Panos Kammenos sagte, dass 20.000 Migranten in fünf neuen Auffanglagern in Nordgriechenland untergebracht werden sollen.

Unterdessen verständigte sich die NATO auf die Details ihres Grenzschutzeinsatzes in der Ägäis. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte nach Beratungen in Brüssel, dass sich das Bündnis an den internationalen Anstrengungen zum Stopp der illegalen Migration beteiligen werde. "Wenn Menschen, die aus der Türkei kommen, gerettet werden, werden sie in die Türkei zurückgebracht", stellte Stoltenberg am Donnerstag klar. Dies geschehe gemäß nationaler und internationaler Gesetze. Griechenland erhofft sich dadurch, die Zahl der täglichen Neuankömmlinge auf seinen Inseln werde deutlich zurückgehen.