Mehr als ein halbes Jahrhundert lang lag ein Gnadengesuch des deutschen NS-Verbrechers Adolf Eichmann in den Archiven des israelischen Präsidialamtes in Jerusalem. Juristische Experten seien nun im Zuge einer Digitalisierung von Archivmaterial überraschend auf das wichtige Zeitdokument gestoßen, sagte ein Sprecher des Staatspräsidenten Reuven Rivlin am Mittwoch.

Eichmanns handschriftliches Gnadengesuch
Eichmanns handschriftliches Gnadengesuch © APA/AFP/GALI TIBBON

Zum internationalen Holocaust-Gedenktag wurden das handschriftliche Dokument sowie eine Kopie in Schreibmaschinenschrift erstmals öffentlich vorgestellt. In dem auf den 29. Mai 1962 datierten Schreiben an den damaligen Präsidenten Yitzhak Ben Zvi spielt Eichmann, der als einer der Hauptorganisatoren des Holocaust gilt, seine Verantwortung herunter. Er sei "lediglich Instrument der Führung" gewesen, heißt es unter anderem in dem Brief.

Es sei zwar bekannt gewesen, dass Eichmann schriftlich um seine Begnadigung gebeten habe, sagte Rivlins Sprecher. "Es wusste nur lange niemand, wo der Brief aufbewahrt wurde." Es handle sich bei der handschriftlichen Version um das einzige Original. Bei einer Gedenkveranstaltung 55 Jahre nach dem aufsehenerregenden Prozess gegen Eichmann waren am Mittwoch auch die Tochter des israelischen Chefanklägers Gideon Hausner und Rafael Eitan zugegen. Letzterer war 1960 als Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad an der Entführung Eichmanns aus Argentinien beteiligt. Israel hatte Eichmann Ende 1961 zum Tode verurteilt.

"Das Böse war offensichtlich"

"Das Böse in Eichmann war offensichtlich", sagte Rivlin nach Angaben seines Büros. Er sei für den Mord an ganzen Familien verantwortlich. Der historische Prozess gegen Eichmann in Israel habe einen "Bann des Schweigens gebrochen".

Auch ein Telegramm von Eichmanns Frau Vera, in dem sie um Gnade für den ehemaligen SS-Obersturmbannführer bat, wurde am Mittwoch veröffentlicht. Sie schrieb dem Präsidenten, das Schicksal ihres Mannes liege in seiner Hand. "Als Frau und Mutter von vier Kindern bitte ich euer Excellenz um das Leben meines Mannes."

Der damalige israelische Präsident antwortete Eichmann nicht direkt, sondern schrieb auf Hebräisch an den israelischen Justizminister. In dem Brief vom 31. Mai 1962 hieß es, er habe Gnadengesuche Eichmanns geprüft und erwogen. "Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass es keinerlei Berechtigung zu einer Begnadigung oder Milderung der Strafe Adolf Eichmanns gibt", schrieb Ben Zvi. Noch in der Nacht wurde Eichmann hingerichtet - es war das erste und letzte Mal, dass Israel die Todesstrafe vollstreckte.

"Kein verantwortlicher Führer"

Hier einige Auszüge aus dem handschriftlichen Brief Eichmanns, der auch in maschinenschriftlicher Version vorliegt:

"Den Richtern ist in der Beurteilung meiner Person ein entscheidender Irrtum unterlaufen, da sie sich nicht in die Zeit und in die Lage versetzen können, in der ich mich während der Kriegsjahre befunden habe. (...)

Es ist nicht richtig, dass ich so eine hochgestellte Persönlichkeit gewesen wäre, dass ich die Verfolgung der Juden selbstständig hätte betreiben können, und betrieben hätte, gegen eine solche Machtfülle spricht deutlich die von den Richtern im Urteil übergangene Tatsache, dass ich niemals einen solchen Dienstrang hatte, der mit so entscheidenden, selbstständigen Befugnissen hätte verbunden sein müssen. So habe ich aber keine einzige Anordnung im eigenen Namen gegeben, sondern stets nur "im Auftrag" gehandelt. (...)

Es ist auch nicht richtig, dass ich mich niemals von menschlichen Gefühlen hätte beeinflussen lassen. Ich habe gerade unter dem Eindruck der erlebten unerhörten Greuel, sofort um meine Versetzung gebeten (...)

Ich erkläre nochmals, wie bereits vor Gericht geschehen: Ich verabscheue die an den Juden begangenen Greuel als größtes Verbrechen und halte es für gerecht, dass die Urheber solcher Greuel jetzt und in Zukunft zur Verantwortung gezogen werden. (...)

Ich war kein verantwortlicher Führer und fühle ich daher nicht schuldig. Den Spruch des Gerichts kann ich nicht als gerecht anerkennen und bitte Sie, Herr Staatspräsident, von dem Gnadenrecht Gebrauch zu machen und anzuordnen, dass das Todesurteil nicht vollstreckt wird."

Das Antwortschreiben von Präsident Ben Zvi an den Justizminister
Das Antwortschreiben von Präsident Ben Zvi an den Justizminister © APA/AFP/GALI TIBBON