EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert von den Mitgliedstaaten eine deutliche Begrenzung des Flüchtlingsandrangs nach Europa. Von den politischen Führern erwarte er eine veränderte Einstellung. Die Grünen im Europaparlament äußerten sich am Donnerstag schockiert über die Äußerungen. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos mahnte die europäischen Länder zu mehr Gemeinsamkeit.

Tusk sagte in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" und fünf weiterer europäischer Blätter: "Manche von ihnen sagen, die Flüchtlingswelle sei zu groß, um sie zu stoppen. Das ist gefährlich." Gesagt werden müsse vielmehr: "Diese Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen."

Tusk plädierte für eine stärkere Sicherung der EU-Außengrenzen. Bisher sei es zu leicht, nach Europa zu gelangen. Das führe auch zu einem Sicherheitsrisiko. "Man kann und man sollte Migranten so lange aufhalten, bis die Überprüfung abgeschlossen ist", verlangte Tusk. Die dafür nötige Zeit sei, Völker- und EU-Recht entsprechend, zumindest 18 Monate. Auf die Frage, ob dies überhaupt zu bewältigen sei, antworte der Pole auf Deutsch mit dem bekannten Ausspruch von Kanzlerin Merkel: "Wir schaffen das."

Die Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, forderte schnellstmöglich eine Erklärung des Ratspräsidenten. Er treibe eine Spaltung der EU-Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingspolitik voran und scheine dabei stark getrieben von innenpolitischen Interessen in Polen zu sein, kritisierte Harms. "Der EU-Ratspräsident sollte zusammenführen und nicht polarisieren." Sie forderte Tusk auf, in der nächsten Plenarsitzung nach Straßburg zu kommen.

Der für Migration zuständige EU-Kommissar Avramopoulos lobte indes ausdrücklich Deutschlands Verhalten in der Flüchtlingskrise. Andere EU-Länder würden in der aktuellen Krise mehr Rücksicht auf innenpolitische Verhältnisse nehmen als auf ihre europäischen Verpflichtungen, kritisierte er auf "Zeit online": "Lasst uns aufhören, Populisten und Extremisten Macht zu geben! Lasst uns aufhören, denen in die Hände zu spielen, die Fremdenfeindlichkeit schüren", forderte der Kommissar.

Deutschland selbst muss mit der Ankunft von insgesamt mehr als einer Million Flüchtlingen im heurigen Jahr rechnen. "Wir werden noch vor Weihnachten die eine Million in Deutschland erreichen", sagte der Vorsitzender der Konferenz der Innenminister der deutschen Bundesländer, Roger Lewentz, am Donnerstag in Koblenz. In der offiziellen Prognose ging das Bundesinnenministerium in Berlin zuletzt noch von rund 800.000 Asylbewerbern im heurigen Jahr aus. Auch andere EU-Staaten sollten mehr Asylbewerber einreisen lassen, forderte Lewentz. Es könne nicht sein, dass andere Länder wie zuletzt Polen sagten: "Wir nehmen keine Flüchtlinge auf."

In der Zwischenzeit hat Mazedonien seinen Grenzübergang Gevgelija zu Griechenland in den frühen Stunden des Donnerstag geschlossen. Nun warten dort rund 5.000 Flüchtlinge auf die Weiterreise, berichtete Ärzte ohne Grenzen über Twitter. Mehr als 3.500 Menschen seien seit Tagen in dem griechischen Grenzort Idomeni gestrandet, hieß es.

Mazedonien lässt seit rund zwei Wochen nur noch Syrer, Iraker und Afghanen durchreisen. Andere Flüchtlinge - auch solche aus Bürgerkriegsländer wie Somalia - dürfen nicht durchreisen. Unter der wachsenden Zahl an frustrierten Flüchtlingen kam es darum immer wieder zu Ausschreitungen - Hilfsorganisationen warnen zudem vor der sich verschlechternden humanitären Situation in dem Zeltlager in Idomeni. Am Donnerstag kam ein Mensch ums Leben. Der Mann starb durch einen Stromschlag, vermutlich beim Versuch auf einen Zug zu klettern. Zuvor waren mazedonische Sicherheitskräfte erneut mit Tränengas gegen die protestierenden Flüchtlinge vorgegangen, die Steine auf die Polizisten warfen.

Zu einem Streit kommt es zwischen der EU und Pakistan über eine Rückführung abgewiesener Flüchtlinge. Pakistan verweigerte am Donnerstag die Einreise von 30 Menschen, die von Griechenland abgeschoben worden waren. Sie durften das Charter-Flugzeug in Islamabad nicht verlassen. Die Maschine kehrte mit den 30 Abgewiesenen nach Griechenland zurück.

Anderen Flüchtlingen aus dem Flugzeug wurde hingegen die Einreise gestattet. Bei den Abgewiesenen sei die Rückführung nicht verifiziert gewesen, hieß es in einer Stellungnahme des pakistanischen Innenministeriums. Damit seien pakistanische Gesetze verletzt worden.

Die pakistanische Regierung hatte zuletzt erklärt, das Land werde eine Vereinbarung mit der EU zur Wiederaufnahme abgewiesener Flüchtlinge aussetzen. Zur Begründung hieß es, Pakistan wolle keine Flüchtlingen mit möglichen extremistischen Verbindungen aufnehmen. Später verlautete aus EU-Kreisen, die Differenzen seien beigelegt, und die Regierung in Pakistan fühle sich an die Abmachung gebunden. Das Abkommen aus dem Jahr 2009 sieht vor, dass illegale pakistanische Einwanderer und Menschen anderer Nationalitäten, die auf dem Weg in die EU durch Pakistan reisen, zurückgeschickt werden dürfen.