Nur Stunden nach der Übereinkunft mit der Europäischen Union über die Begrenzung des Flüchtlingsstroms haben die Behörden der Türkei rund 1300 Migranten festgenommen, die offenbar über das Meer nach Griechenland wollten. Polizisten hätten Hunderte Syrer, Iraker, Iraner und Afghanen sowie drei Schlepper nahe der Stadt Ayvacik festgenommen, sagten Vertreter der Küstenwache am Montag.

Die Polizeiaktion war die größte ihrer Art seit Monaten. Die Migranten seien in ein Abschiebezentrum gebracht worden, hieß es in den Behörden. Einige von ihnen würden in ihre Heimatländer zurückgeschickt.

Visafreiheit für türkische Staatsbürger

Die Türkei hat der EU am Sonntag zugesagt, den Zustrom von Migranten zu unterbinden. Dafür erhält sie drei Milliarden Euro, um eine bessere Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei zu sichern. Außerdem wurde der Türkei die Visafreiheit für Reisen in die EU in Aussicht gestellt sowie eine Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen.

Rund 500.000 Menschen sind auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien über die Türkei und das Mittelmeer nach Griechenland gekommen. Von dort gelangten die meisten über die sogenannte Balkanroute nach Mittel- und Nordeuropa. Hunderte Menschen sind bei der gefährlichen Überfahrt über das Meer ertrunken.

Geld nur für die Flüchtlingshilfe

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte nach Abschluss des etwa vierstündigen Spitzentreffens am Sonntagabend, das Geld diene ausschließlich zur Flüchtlingshilfe, also zur Gesundheitsversorgung oder für Schulen.

Wie die Lastenteilung unter den 28 EU-Staaten geregelt wird, ist noch unklar. Wenn nach dem üblichen EU-Schlüssel verfahren wird, kommen auf Berlin etwa 500 Millionen Euro zu. "Die Türkei erwartet mit Recht, dass die EU sie entlastet", sagte Merkel. Die Türkei habe bisher wenig internationale Unterstützung bekommen.

Video: EU verzichtet für Flüchtlingshilfe der Türkei auf Visa

Die Gespräche zum visafreien Reisen und die Beitrittsverhandlungen werden beschleunigt. Ankara sichert zu, heimische Küsten besser zu schützen und effektiver gegen Schlepper vorzugehen. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sprach von einem historischem Treffen. Das Land beherbergt nach Angaben aus Ankara allein rund 2,2 Millionen syrische Flüchtlinge.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) kündigte ein weiteres Treffen jener Länder an, die von der Flüchtlingskrise besonders betroffen seien. So soll wahrscheinlich vor dem nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember gemeinsam mit der Türkei und mit Griechenland gemeinsam überprüft werden, wie die heutigen Gipfelbeschlüsse funktionieren. "Wir warten nicht bis Jänner oder Februar, sondern wir werden in 14 Tagen das erste Mal überprüfen", sagte Faymann.

Die EU überwindet mit dem neuen Türkei-Pakt eigene Vorbehalte. Denn die Union bemängelt seit Jahren Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit und bei der Pressefreiheit in der Türkei. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte, Meinungsverschiedenheiten würden nicht unterdrückt: "Menschenrechte, Pressefreiheit - all dies ist wichtig und wird immer wieder zurückkommen."

Nur zarte Kritik an Menschenrechtslage

Über Kritik an der Menschenrechtssituation in der Türkei wurde nach Angaben von Merkel beim Gipfel nur am Rande gesprochen. Sie betonte, die verstärkte Zusammenarbeit biete dafür künftig aber mehr Raum. "Wir haben gesagt, wenn wir strategische Partner sind, müssen wir die Themen, zu denen wir Fragen oder auch Anmerkungen oder Kritik haben, auch offen aussprechen."

Türkische Staatsbürger können darauf hoffen, ab Oktober 2016 ohne Visum nach Europa reisen zu dürfen. Auch die lange Zeit quasi eingefrorenen EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Kandidatenland werden vorangetrieben.

Noch im Dezember soll das Verhandlungskapitel 17 über Wirtschaft und Finanzen geöffnet werden. "Wir sind übereingekommen, dass der Beitrittsprozess wiederbelebt werden muss", sagte Tusk. Die EU-Kommission bereitet für das kommende Frühjahr die Öffnung weiterer Verhandlungsbereiche vor.