Zur Beilegung der türkisch-russischen Krise nach dem Abschuss eines Kampfjets durch die Türkei bemüht sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan laut einem Bericht um direkten Kontakt zu seinem russischen Kollegen Wladimir Putin. Angedacht sei ein Telefonat der beiden am Rande des UN-Klimagipfels in Paris am 30. November, berichtete die regierungsnahe Zeitung "Yeni Safak" am Donnerstag.

Nach türkischer Darstellung reagierten türkische Kampfflugzeuge mit dem Abschuss am Dienstag auf eine Luftraumverletzung des russischen Jets an der Grenze zu Syrien. Russland beharrt dagegen darauf, dass die Maschine nicht in türkisches Hoheitsgebiet eingedrungen sei und im syrischen Luftraum abgeschossen wurde. Moskau wirft Ankara eine gezielte Provokation vor und setzt nach Medienberichten seine Angriffe im syrisch-türkischen Grenzgebiet fort.

Der am Dienstag von der türkischen Luftwaffe abgeschossene russische Kampfjet ist nach Angaben des überlebenden Piloten nicht in türkischen Luftraum eingedrungen. Er könne "dies vollständig ausschließen, sogar für eine Sekunde", sagte Konstantin Murachtin am Mittwoch in einem von mehreren Fernsehsendern gezeigten Beitrag. Darin ist der Pilot von hinten gefilmt und daher nicht zu erkennen. Nach seinen Worten wurden die Piloten vor dem Abschuss auch nicht gewarnt: "Es gab keinerlei Warnung, keinen Austausch über Funk, keinen Sichtkontakt, überhaupt keinen Kontakt."

Video: Türkisches Militär veröffentlicht Tonaufnahme 

Warnung veröffentlicht

Nach dem Abschuss des russischen Bombers haben die türkischen Streitkräfte nach einem Medienbericht die Warnung an die Piloten veröffentlicht. Die Nachrichtenagentur DHA stellte am Mittwoch unter Berufung auf die Armee eine entsprechende Sprachaufnahme ins Netz. Auf der Aufnahme ist die mehrmalige Warnung zu hören, nach Süden abzudrehen.

Es soll sich dabei um den Funkspruch an die Piloten des am Dienstag abgeschossenen Flugzeugs handeln. Die Türkei hatte direkt nach dem Abschuss mitgeteilt, die russische Suchoi Su-24 sei mehrfach und über mehrere Minuten hinweg kontaktiert worden.

Abschuss über Syrien?

Nach russischer Darstellung wurde die Maschine am Dienstag über syrischem Gebiet abgeschossen. Berichten zufolge soll sie aber mehrere Sekunden lang im türkischen Luftraum gewesen sein. Einer der beiden Piloten kam bei dem Vorfall ums Leben. Der Abschuss der Su-24 im türkisch-syrischen Grenzgebiet hatte am Dienstag zu erheblichen Spannungen zwischen Moskau und Ankara geführt. Nach Darstellung der türkischen Luftwaffe wurden die Piloten des russischen Kampfjets mehrfach gewarnt, weil sie in türkischen Luftraum eingedrungen seien. Nach Moskauer Darstellung war der Bomber über syrischem Territorium.

Syrien-Überflug "vollständig auszuschließen"

"Wenn sie uns hätten warnen wollen, hätten sie neben uns herfliegen können", sagte der Pilot in dem Fernsehinterview. "Das ist nicht geschehen." Auf die Frage, ob er in türkischen Luftraum eingedrungen sei, antwortete er, er könne "dies vollständig ausschließen, sogar für eine Sekunde". Er habe die Grenze am Boden klar vom Flugzeug aus erkennen können.

Seine Maschine sei am Heck getroffen worden, als sie zu auf dem Rückweg zum Luftwaffenstützpunkt Hmeimim im Nordwesten Syriens gewesen sei, sagte Murachtin. Er und der zweite Pilot konnten sich zwar über den Schleudersitz retten. Doch der zweite Pilot wurde nach russischen Militärangaben am Boden beschossen und getötet. Nur Murachtin konnte gerettet werden.

Eine Kommandoeinheit der syrischen Armee hat den zweiten Piloten des abgeschossenen russischen Jets in Sicherheit gebracht. Er sei bei einer Aktion "hinter den Linien der Bewaffneten (Rebellen)" gerettet worden, meldete die libanesische Nachrichtenseite Al-Mayadeen, die gute Kontakte zu Syriens Regierung hat, am Mittwoch.

Russisch-türkische Eiszeit

Verbal ist das Säbelrasseln heftig. Der russische Außenminister Sergej Lawrow poltert, der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei sei von langer Hand vorbereitet gewesen und spricht von einer geplanten Provokation. Am Vortag hatte der russische Präsident von einem "Messer in den Rücken" gesprochen und Konsequenzen angedroht. Worin die bestehen könnten, zeichnet sich heute schon deutlicher ab:  Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew stellte gestern einen Stopp wichtiger gemeinsamer Projekte in Aussicht. Türkische Unternehmen könnten Marktanteile in Russland verlieren, erklärte er. Mit erstem Dezember verhängt Russland einen Importstopp für türkisches Hühnerfleisch. Bei einem Absatzvolumen von 16 Mio. Dollar (15 Mio. Euro) im Vorjahr und heuer erwarteten 23,5 Mio. Dollar ist diese erste Sanktion aber mehr als ein Warnhinweis zu verstehen, nicht als einschneidende Maßnahme.

Beziehungen überdenken

Der russische Außenminister Lawrow sagte, man werde seine Beziehungen zur Türkei künftig ernstlich überdenken. Es gebe keine Pläne für Besuche aus Ankara und der Abschuss werde auch Auswirkungen auf die zuletzt in Wien geführten Friedensverhandlungen haben. Andererseits betonte Lawrow, Russland werde "keinen Krieg" mit der Türkei führen. Nach dem Abschuss will die russische Regierung Härte demonstrieren. An einer militärischen Eskalation der Lage haben aber beide Länder derzeit offenbar und glücklicherweise kein Interesse. Gerade im Energiebereich sind Russland und die Türkei strategische Partner.

Steine, Eier, Farbbeutel

Aus Wut über den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei haben Hunderte Menschen vor der türkischen Botschaft in Moskau protestiert. Einige der rund 900 Demonstranten bewarfen das Gebäude mit Steinen, Eiern und Farbbeuteln, wie die Agentur Tass am Mittwoch meldete.

Mindestens 15 Fenster wurden demnach zerschmettert. "Erdogan Mörder" war unter anderem auf Plakaten zu lesen, die sich gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan richteten. Berichten zufolge wurde zunächst niemand festgenommen.

In Sicherheit gebracht

Unterdessen berichten libanesische Medien, einer der beiden Piloten des abgeschossenen Jets habe überlebt. Eine Kommandoeinheit der syrischen Armee hat ihn laut einem Medienbericht in Sicherheit gebracht. Er sei bei einer Aktion "hinter den Linien der Bewaffneten (Rebellen)" gerettet worden, meldete am Mittwoch die libanesische Nachrichtenseite Al-Mayadeen, die gute Kontakte zu Syriens Regierung hat. Demnach wurde der Pilot zu einem Militärstützpunkt in der Nähe der Stadt Latakia gebracht. Der andere Pilot des abgeschossenen Flugzeugs war nach Angaben aus Moskau ums Leben gekommen. Syrische Rebellen verbreiteten dazu im Internet ein Video, das seinen Leichnam zeigen soll.

"Konsequenzen"

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte gestern die Türkei scharf kritisiert und mit Konsequenzen gedroht. Wie staatliche Medien heute bekannt gaben, solchen künftig alle russischen Jets in Syrien Begleitschutz durch Kampfbomber bekommen. Zudem soll ein Raketenkreuzer potenzielle Angreifer abwehren. Russland greift derzeit Ziele im Norden Syriens an. Ankara wirft Moskau vor, damit Diktator Baschar al-Assad stärken zu wollen. Überdies seien Tausende syrische Turkmenen durch die Angriffe vertrieben worden. Nach russischen Angaben zielen die Angriffe dagegen auf den IS ab.

Regeln schaffen

Nach dem Abschuss des russischen Kampfflugzeugs durch die türkische Luftwaffe im Grenzgebiet zu Syrien hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit US-Präsident Barack Obama telefoniert. Beide sähen die Notwendigkeit zur Deeskalation und zur Schaffung von Mechanismen, um die Wiederholung solcher Vorfälle zu vermeiden, teilte die Präsidentschaft in Ankara mit.

Obama habe in dem Telefonat betont, dass das Recht der Türkei zur Verteidigung seiner Souveränität "von den USA und der NATO unterstützt" werde. Türkische F-16-Kampfflugzeuge hatten den Bomber vom Typ Su-24 am Morgen im Grenzgebiet abgeschossen, weil das Flugzeug nach Angaben der Armee trotz wiederholter Warnungen in den türkischen Luftraum eingedrungen war. Das US-Militär bestätigte diese Darstellung ebenso wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Nach Darstellung des türkischen UN-Botschafters Halit Cevik flogen zwei russische Flugzeuge für 17 Sekunden durch den türkischen Luftraum. Ein US-Militärvertreter bestätigte dies; es sei aber unklar, ob die türkische Luftwaffe während der Luftraumverletzung geschossen habe oder erst, als die russischen Maschinen wieder über Syrien gewesen seien.

Dieses Video zeigt den Absturz:

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Abschuss in einer ersten Reaktion als "Messer im Rücken" bezeichnet, der von "Helfershelfern von Terroristen" ausgeführt wurde. Der Vorfall werde ernste Konsequenzen für die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei haben, sagte Putin am Dienstag im russischen TV.

Zu dem Vorfall kam es Dienstag früh an der Grenze Syriens zur Türkei nahe der Mittelmeerküste. Nach türkischen Angaben wurde das Kampfflugzeug vom Typ SU-24 zehn Mal binnen fünf Minuten gewarnt, dass es in fremden Luftraum eingedrungen sei. Daraufhin habe man eigene F-16-Jets geschickt und die Maschine abgeschossen.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte laut den Nachrichtenagenturen Ria und Interfax am Dienstag, die Maschine habe den türkischen Luftraum nicht verletzt und sei über Syrien getroffen worden. Es habe offenbar Beschuss vom Boden gegeben, meldete Interfax. Auf Videomaterial von dem Abschuss, dass türkische Medien zeigten, ist zu sehen, dass sich die beiden Piloten per Schleudersitz aus der Maschine retten konnten.

Die Reste des Flugzeuges gingen in einer als "Turkmenischer Berg" bekannten Region in Nordsyrien an der Grenze nieder. Dort kämpften Regierungstruppen zuletzt gegen Rebellen. Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu teilte Dienstag früh mit, mit NATO, UNO und anderen Staaten die Entwicklungen an der Grenze zu Syrien besprechen zu wollen. Bereits am Montag forderte die Türkei die Einberufung des UNO-Sicherheitsrates, um Attacken auf Dörfer der turkmenischen Minderheit im Grenzgebiet Syriens zur Türkei zu besprechen. Vergangene Woche wurde aus Protest gegen Luftangriffe auf die Dörfer in Ankara der russische Botschafter ins Außenministerium zitiert.