"Wir sind nahe an einem Namen dran, der auf eine Gruppe hinweist." Es würden die DNA-Spuren ausgewertet, um einen der beiden Attentäter zu identifizieren, sagte Davutoglu dem Sender NTV. Der Regierungschef wies nachdrücklich den Vorwurf zurück, die Sicherheitsbehörden hätten versagt.

Laut Medienberichten sind die Ermittler überzeugt, dass in Ankara ähnliche Sprengsätze verwendet wurden wie bei dem Anschlag auf ein pro-kurdisches Treffen im südtürkischen Suruc im Juli, bei dem 34 Menschen getötet wurden. Schon damals hatten die türkischen Behörden den IS verantwortlich gemacht, der sich aber nie zu dem Anschlag bekannte. Laut Zeitungsberichten betrachtet die Polizei den Bruder des Attentäters von Suruc als Hauptverdächtigen für den jüngsten Anschlag in Ankara. Laut der Zeitung "Hürriyet" wurden DNA-Proben der Familien von 16 Verdächtigen genommen, die Mitglieder des IS sein sollen. Die Polizei nahm am Sonntag landesweit 43 Menschen fest, die Verbindungen zum IS haben sollen.

Davutoglu schloss aber erneut auch kurdische Rebellen oder Linksextremisten als potenzielle Verdächtige nicht aus. Bei dem Anschlag auf eine Friedensdemonstration linker Organisationen wurden am Samstag laut Regierungsangaben mindestens 97 Menschen getötet und 507 verletzt. Die HDP geht davon aus, dass ihre Anhänger Ziel der Bombenanschläge waren. Sie bezifferte die Zahl der Toten auf rund 130.

Trotz der aufgeheizten politischen Atmosphäre versicherte Davutoglu die vorgezogene Parlamentswahl werde wie geplant am 1. November stattfinden. "Wie auch immer die Umstände sind, die Wahl wird stattfinden", so der Premier. "Dieser Anschlag wird die Türkei nicht in Syrien verwandeln." Auswirkungen auf den Wahlkampf sind bereits sichtbar, die islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan will bis Freitag auf alle Wahlkampfveranstaltungen verzichten. Zuvor hatte die pro-kurdische HDP erklärt, sie erwäge aus Sicherheitsgründen eine Absage aller Veranstaltungen vor der Parlamentswahl.

Zu der Kundgebung am Samstag hatten pro-kurdische Aktivisten und Bürgerrechtler aufgerufen, die ein Ende der Kämpfe zwischen der Armee und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erreichen wollen. Vergangenen Juli hatte die türkische Regierung nach mehreren Angriffen auf Polizei und Armee einen zwei Jahre währenden Waffenstillstand aufgekündigt. Am Montag bekräftigte die PKK die am Wochenende angekündigte einseitige Feuerpause, um der Toten des Anschlags zu gedenken. Trotzdem flog die türkische Luftwaffe am Sonntag Angriffe auf PKK-Stellungen im Grenzgebiet. Dabei wurden laut Armeeangaben 17 PKK-Kämpfer getötet.

Die HDP wirft Erdogan vor, ein politisches Interesse am Konflikt mit der PKK zu haben, um bei der Wahl in knapp drei Wochen die absolute Mehrheit zu erreichen. Bei der Wahl im Juni hatte die HDP überraschend stark abgeschnitten, was die AKP ihre absolute Mehrheit kostete. Erdogan hoffte eigentlich auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit zum Ausbau seiner Macht. Die Neuwahl wurde ausgerufen, weil die Koalitionsgespräche scheiterten.

In Istanbul skandierten indes auch am Montag Hunderte Menschen auf dem Weg zur Trauerfeier für Opfer des Anschlags: "Dieb, Mörder Erdogan". Polizei mit Wasserwerfern und gepanzerten Fahrzeugen brachten sich in Stellung, zunächst kam es jedoch nicht zu Ausschreitungen. Bereits am Sonntag hatten Tausende gegen Erdogan protestiert. Nach Lesart vieler Kurden ist zwar ein Attentat des IS wahrscheinlich - schließlich bekämpfen sich in Syrien IS- und Kurden-Milizen. Allerdings werfen sie der türkischen Regierung vor, die IS-Kämpfer heimlich zu unterstützen.

In diesem Klima der Konfrontation wird die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Angaben ihres Sprechers Steffen Seibert am kommenden Sonntag in die Türkei reisen. Dabei will sie mit Präsident Erdogan und Regierungschef Davutoglu über unter anderem über Maßnahmen gegen Terror und die Lage in Syrien sprechen.

Durch das Eingreifen der russischen Luftwaffe in den syrischen Konflikt aufseiten des Präsidenten Bashar al-Assad sind neue Spannungen entstanden, denn erklärtes Ziel der türkischen Regierung ist der Sturz Assads. Zwar sei die Türkei an einer politischen Lösung der syrischen Krise interessiert, aber eine "Legalisierung des syrischen Regimes" werde nicht akzeptiert, bekräftigte Davutoglu am Montag.