Mehr als vier Millionen Syrer sind seit Beginn des Bürgerkriegs aus ihrer Heimat geflohen - aber in den reichen Golfstaaten in der Nachbarschaft werden sie nicht aufgenommen. "Die Golfstaaten sollten sich schämen", sagt der syrische Flüchtling Abu Mohammed, der in Jordanien lebt. "Während Europa seine Türen öffnet, machen sie die Schotten dicht."

Viel näher als Europa

Kritik kommt inzwischen aus den Ländern selbst: "Leider haben die reichen Golfstaaten keine einzige Erklärung zur Krise abgegeben, geschweige denn eine Strategie zur Hilfe der Flüchtlinge vorgeschlagen", kommentierte kürzlich die katarische Tageszeitung "Gulf Times". "Dabei sind die meisten Flüchtlinge Muslime." Die Unterstützung der sechs Länder des Golfkooperationsrates - Saudi-Arabien, Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait, Oman und Katar - erschöpft sich bisher weitgehend in Scheckbuchdiplomatie: Milliarden Petrodollar steckten sie in die humanitäre Hilfe, um das Leben der Flüchtlinge in den Lagern im Libanon, in der Türkei und in Jordanien erträglicher zu machen - damit die Syrer nicht an ihre Türen klopfen. Und so haben die meisten Flüchtlinge Europa als Ziel, trotz der gefährlichen Reise.

Seit Beginn des Jahres haben 356.000 Menschen auf der Flucht vor Krieg und Elend das Mittelmeer überquert, mehr als 2.700 kamen ums Leben, wie aus Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hervorgeht. Dabei sind die Golfstaaten viel leichter zu erreichen, reicher als viele europäische Staaten und teilen überdies die Kultur und Religion der meisten Flüchtlinge. Das Schweigen der Scheichs wird nur gelegentlich gestört. Der Blogger Sultan Al-Qassemi aus den Emiraten rief sie unlängst zu einer "moralischen und verantwortungsvollen Initiative" auf. Der Vater des dreijährigen Aylan Kurdi, dessen Leiche an einen türkischen Strand gespült worden war, rief bei der Beerdigung seiner beiden Kinder und seiner Frau: "Ich will, dass die arabischen Regierungen, und nicht die Europäer, sehen, was meiner Familie zugestoßen ist. Sie müssen den Menschen helfen."

Keine Änderung in Sicht

Doch rechnet kaum ein Experte mit einem Umdenken in Riad, Abu Dhabi oder Doha. "Die große Mehrheit der Bevölkerungen am Golf finden den Kurs ihrer Regierungen gut", sagte Michael Stephens vom Institut RUSI. Überdies konzentrieren sich viele arabische Länder auf den blutigen Konflikt im Jemen, wo schiitische Houthi-Rebellen den sunnitischen Präsidenten aus dem Land vertrieben haben. Nicht zuletzt haben die Golfstaaten wegen ihrer Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg eine verwundbare Flanke. Sie geben den Gegnern von Machthaber Bashar al-Assad Geld und Waffen. Saudi-Arabien und Katar wurden gar an den Pranger gestellt, weil sie Jihadisten finanzieren sollen, um den vom Erzfeind Iran unterstützten Assad zu bekämpfen. Wegen ihrer Einmischung in Syrien seien die Golf-Regierungen darüber besorgt, "was diejenigen unternehmen könnten, die zu ihnen kommen", sagt Sultan Barakat vom Brookings-Institut in Doha.

So wurde Saudi-Arabien seit Anfang des Jahres Ziel von Anschlägen der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). In den kleinen Scheichtümern wie den Emiraten und Katar wiederum ist die einheimische Bevölkerung schon in der Unterzahl und beschäftigt ein Heer von Arbeitsmigranten vornehmlich aus Südasien. Sie fürchtet, durch die Aufnahme großer Flüchtlingskontingente noch weiter in die Minderheit zu geraten. Eine große Erleichterung wäre es schon, wenn die syrischen Gastarbeiter in den Staaten ihre Familien zu sich holen könnten. Doch die restriktive Visapolitik schiebt selbst dem bisher einen Riegel vor.