Durch den überraschenden Abzug der Polizei von Budapests großen Bahnhöfen hatten die Migranten mehrere Züge nach Österreich und Deutschland stürmen können. Hunderte in Ungarn gestartete Flüchtlinge sind am Montagabend am Westbahnhof in Wien eingetroffen. Viele von ihnen bestiegen nach ihrer Ankunft zwei Züge nach München und Salzburg.

Etwa 1000 eingetroffen

Nach Angaben von Polizeisprecher Roman Hahslinger sind am Montagabend insgesamt "einige Hundert, möglicherweise 1000 Flüchtlinge" am Wiener Westbahnhof aus Budapest eingetroffen. Genaueres werde man voraussichtlich Dienstag früh wissen, wie Hahslinger in der "ZiB2" des ORF sagte.

Auf die Frage, warum man die Menschen ohne Kontrollen nach Deutschland weiterreisen lasse, sagte Hahslinger, die Polizei kontrolliere die Flüchtlinge, jedoch seien "lückenlose Kontrollen derzeit nicht durchführbar". Hahslinger begründete dies damit, dass es nicht möglich sei, "den Bahnhof abzusperren". Man verlasse sich dabei auch darauf, dass schon die ungarischen Behörden die Kontrollen durchführten.

Der Flüchtlingsaktivist Marc Speer sagte in der "ZiB2", wenn die ungarischen Behörden die Flüchtlinge nicht mit den Zügen ausreisen hätten lassen, hätte es wegen der katastrophalen Zustände am Budapester Bahnhof "einen Aufstand oder Tote" gegeben. Den von Ungarn an der Grenze zu Serbien errichteten Stacheldraht-Zaun hält Speer für wirkungslos. Allerdings könnten die in Ungarn geplanten Strafen für illegalen Grenzübertritt dazu führen, dass die Flüchtlinge "in ein paar Monaten" über Kroatien ausweichen.

Drei Bahnsteige bereitgestellt

Insgesamt wurden drei Bahnsteige für Züge aus dem Nachbarland bereitgestellt. Die Flüchtlinge kamen sichtlich abgekämpft, teilweise mit Kindern im Arm, am Westbahnhof an. Neben der Polizei wurden sie auch von freiwilligen Helfern in Empfang genommen, die sie mit Mineralwasser und Obst versorgten.

Trotz großen Aufgebots der Einsatzkräfte verlief die Ankunft turbulent: Kontrollen gab es vorerst praktisch keine. Auch eine genaue Zahl der Ankommenden lag noch nicht vor. Laut Polizeisprecher Roman Hahslinger sollen es aber "Hunderte" sein.

Hahslinger betonte gegenüber der APA, dass die Personen, die in Österreich Asyl beantragen, von der Behörde entsprechend behandelt würden. Bei Flüchtlingen, die ohne gültiges Schengen-Visum weiterreisen wollen, werde eine "Rückabschiebung nach Ungarn veranlasst".

"Refugees Welcome"

Auf dem Wiener Westbahnhof machten auch eine Handvoll Demonstranten ihrem Ärger über die Asyl-Zustände in Österreich Luft. Sie skandierten Parolen wie "No Border, no Nation" und hielten Plakate in die Höhe, auf denen "Refugees Welcome" zu lesen war.

Unter dem Motto "Mensch sein in Österreich" hat in Wien-Mariahilf am Montagabend eine Demonstration gegen unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen begonnen. Gegen 18.30 Uhr hatten sich laut Polizei "mindestens 3.000, vermutlich aber mehr" Personen eingefunden. Weil man auf weitere Zuströmende wartete, verzögerte sich der Abmarsch.

Die Demonstranten sammelten sich am Christian-Broda-Platz und sollten dann über die Mariahilfer Straße zur Marcus-Omofuma-Denkmal beim Museumsquartier ziehen. Die Organisatoren hatten aufgerufen, weiß gekleidet zu erscheinen oder weiße Flaggen mitzubringen: Die Farbe soll den Frieden symbolisieren.

Wegen Überfüllung gestoppt

Die Flüchtlinge waren aus Zügen aus Ungarn gekommen, die an der Grenze bei Hegyeshalom auf Betreiben der ÖBB wegen Überfüllung gestoppt worden waren und geräumt wurden. Nach stundenlanger Wartezeit starteten die Züge schließlich gegen 17.00 Uhr in Richtung Österreich.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) betonte, es müsse auch die Sicherheit auf den österreichischen Bahnstrecken gewährleistet sein: "Überfüllte Züge sind ein Sicherheitsrisiko für den Bahnbetrieb und alle Fahrgäste. Die Sicherheit in den Zügen muss gewährleistet werden können, alles andere wäre inakzeptabel." Die ÖBB hatten sich am Nachmittag an der Grenze zu Ungarn geweigert, die Züge wegen "Überfüllung" zu übernehmen und die ungarische Polizei gebeten, die Züge von "überzähligen Fahrgästen zu räumen".

Railjet hielt in Rosenheim

Ein Zug aus der ungarischen Hauptstadt Budapest mit rund 400 Flüchtlingen ist am Montagabend in Rosenheim angekommen. Der Railjet hielt außerplanmäßig im Bahnhof der oberbayerischen Stadt. Die Bundespolizei ging durch die Abteile und holte 190 Flüchtlinge - darunter viele Frauen und Kinder - zur Registrierung aus dem Zug.

Anschließend wurden sie in Bussen zur Dienststelle in eine ehemalige Bundeswehrkaserne gebracht. Etwa 200 weitere Flüchtlinge reisten im Zug nach München weiter.

Wegen der sich verschärfenden Flüchtlingskrise hatte die Bundespolizei in Rosenheim zwischenzeitlich keine dort ankommenden Züge mehr kontrolliert. Die Beamten seien mit der Versorgung und Registrierung der Asylbewerber vor der Weiterreise in die Münchner Erstaufnahmestelle vollständig ausgelastet. Auch nach der Ankunft des Flüchtlingszugs am frühen Abend sagte ein Sprecher: "Heute wird am Rosenheimer Bahnhof kein Zug mehr kontrolliert." Dafür gebe es keine Kapazitäten mehr.

Ankunft in München

Ein Zug aus der ungarischen Hauptstadt Budapest mit rund 200 Flüchtlingen ist am Montagabend in München angekommen. Die Polizei nahm die Menschen - darunter viele Frauen und Kinder - in Empfang und führte sie zur Registrierung in eine Nebenhalle. Passanten verteilten spontan Wasserflaschen und Süßigkeiten an die Neuankömmlinge.

"Europäisches Recht einhalten"

Die EU-Kommission forderte unterdessen Ungarn dazu auf, europäisches Recht einzuhalten. Das Land müsse alle ankommenden Flüchtlinge mit Fingerabdrücken registrieren, mahnte eine Kommissionssprecherin am Montag in Brüssel. Die EU-Kommission bot Budapest Hilfe bei der Grenzsicherung an, auch etwa mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex.

"Es müssen die Regeln des gemeinsamen Europäischen Asylsystems respektiert werden", sagte die Sprecherin. In der EU gilt die Dublin-Verordnung, wonach derjenige Mitgliedstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Asylbewerber erstmals europäischen Boden betritt. Wer über ein anderes EU-Land nach Europa eingereist ist, wird dorthin zurückgeschickt. Brüssel reagierte damit auf Vorfälle in Budapest, wo ungarische Polizisten verzweifelte Migranten Züge in Richtung Österreich und Deutschland stürmen ließen.