Bei einer neuen Flüchtlingstragödie im Mittelmeer sind nach Angaben der libyschen Küstenwache mindestens 200 Menschen ums Leben gekommen.

Vor der Küste der libyschen Stadt Zuwara im Nordwesten des Landes waren nach Medienberichten zuvor zwei Flüchtlingsschiffe gekentert. Der britische Sender BBC zeigte am Freitag Fernsehbilder von zahlreichen Leichensäcken. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR meldete, die Küstenwache habe zehn Kilometer vor dem Hafen von Zuwara zwei Rettungseinsätze gestartet. An Bord der Schiffe seien rund 500 Menschen gewesen. Überlebende wurden demnach an Land gebracht.

Ein Aktivist des Zuwara-Medienzentrums erklärte, 190 Menschen seien gerettet worden. Eine UNHCR-Sprecherin in Libyen sagte, es gebe sehr unterschiedliche Opferzahlen, die zunächst nicht verifiziert werden konnten. Bei den Toten soll es sich vor allem um Afrikaner und Syrer handeln.

Die libyschen Kräfte hatten große Probleme, die Opfer zu retten und die Toten zu bergen. Eine Mitarbeiter des libyschen Roten Halbmonds sagte, man tue alles, um die Flüchtlinge zu retten, habe aber nur wenig Kapazitäten dafür.

Dem UNHCR zufolge sind in diesem Jahr bereits mehr als 300.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa geflohen. 200.000 davon seien in Griechenland gelandet, 110.000 in Italien. Das sei ein starker Anstieg im Vergleich zu 2014, als im gesamten Jahr 219.000 Menschen flohen.

Immer wieder kommt es auf dem Mittelmeer zu schweren Unglücken, weil Boote kentern. Dieses Jahr kamen laut UNHCR bereits etwa 2.500 Menschen ums Leben oder werden vermisst. In den vergangenen Tagen waren auf dem Mittelmeer insgesamt etwa 100 Menschen in Laderäumen von Schiffen vermutlich erstickt.

Die Küstenstadt Zuwara gehört zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für Flüchtlinge. Tausende versuchen, von hier aus nach Europa zu kommen. Die libyschen Behörden sind mit der großen Zahl an Flüchtlingen überfordert. Am Donnerstagabend protestierten Hunderte in Zuwara gegen organisierte Schlepperbanden. "Wir haben die Nase voll", sagte ein Anrainer der Stadt. Die Demonstranten trugen Schilder mit der Aufschrift: "Mit wie vielen Leichen habt Ihr Eure Autos bezahlt?"

Seit dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 versinkt das ölreiche Land im Chaos. Derzeit konkurrieren zwei Regierungen und zwei Parlamente miteinander. Zudem bekämpfen sich zahlreiche Milizen, die nicht zuletzt vom Schmuggel leben.

Gespräche über eine friedliche Lösung der Krise unter Vermittlung der UNO kommen nur schleppend voran. Am Donnerstagabend blieben wichtige Vertreter einem Treffen in dem marokkanischen Badeort Skhirat fern. Das Chaos machen sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und andere Extremisten zunutze, die zahlreiche Gebiete beherrschen.

Der EU-Militäreinsatz gegen Schlepper im Mittelmeer soll jedoch demnächst ausgeweitet werden. Nach Einschätzung des zuständigen Befehlshabers könnten Soldaten bereits im Oktober damit beginnen, außerhalb der libyschen Küstengewässer fahrende Schiffe von Menschenschmugglerbanden zu stoppen und zu zerstören, wie es am Freitag aus EU-Kreisen hieß. Mutmaßliche Kriminelle müssten mit einer Festnahme rechnen.

Derzeit ist die Militäroperation auf das Sammeln von Informationen über Schlepperrouten und -netzwerke und die Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen begrenzt. Nach Angaben aus EU-Kreisen wurden die Mitgliedstaaten nun gebeten, zügig die politische Entscheidung für eine Ausweitung der Operation zu treffen. Die Weichen dafür könnten bereits in der kommenden Woche beim informellen Treffen der Verteidigungs- und Außenminister in Luxemburg gelegt werden, hieß es.